Archiv für den Monat: April 2016

Impressionen aus dem äußersten Südosten Marokkos

Nomadenland, keine Parkwächter, keine Geschwindigkeitskontrollen, nur Weite, Freiheit, der Blick reicht bis zum Horizont und darüber hinaus. Dazwischen Hirten mit Schafherden und endlose Ruhe, wenn ich den Wagen parke und den Motor ausstelle höre ich keinen Laut. So war immer mein Marokko, deshalb kam ich her. Auch dieses Land hat sich verändert, sich „globalisiert“, den Stress der Zivilisation aufgenommen. Aber hier ist es noch so, auf der weiten Rekkam-Ebene. Dieses endlose Land auf 1300 Metern Höhe gehört den Nomaden der Beni Guil, die Schafe und Ziegen züchten, keine Kamele, was auch die Straßenschilder berücksichtigen. Sie halten sich im hier sehr kalten Winter vorwiegend im Norden in der Tafrata-Ebene südlich von Taourirt auf, im heißen Sommer möglichst hoch in den Bergmassiven um Figuig. Um die großen Distanzen ohne Brunnen zu überbrücken verfügt der Clan-Chef über einen LKW zum Transport der Tiere, so sehe ich auch tatsächlich neben fast allen Zelten einen LKW geparkt. Und immer wieder in der Landschaft sind Rampen, mit Lehm aufgeschüttet und an einer hohen Mauer endend, über diese Rampen werden die LKW dann mit den Tieren beladen. Einige der Zelte haben nun auch feste Hütten nebenan, um Vorräte sicher unterzubringen, sie haben jeweils für die Jahreszeit feste Standplätze.

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Das Interessante an dem heutigen Tag ist, dass ich nicht weiß, wo ich landen werde, wo ich eine Unterkunft finde. Das ist dann eine der wenigen Gelegenheiten, wo ich mir einen Camper wünschte, einfach irgendwo stehen bleiben, wo es schön ist, den Tag ausklingen lassen und in die Landschaft schauen. Es ist kein Wunder, dass gerade der Osten so gerne von Wohnmobilfahrern angefahren wird. Touristische Infrastruktur gibt es hier nicht. In dieser weiten Ebene gäbe es für mich nur die Farm von Thomas, aber heute ist Thomas noch in Errachidia und alleine habe ich keine Lust, dort zu übernachten. Ich lasse also erstmal alles auf mich zu kommen.

Man könnte hier sehr schnell fahren. Es ist wenig Verkehr und es gibt natürlich auch keine Tankstellen, keine Orte. Nur selten ein Privatauto, aber hin und wieder ein LKW, der zwar manchmal auch Schafe geladen hat, oft aber auch nur Lebensmittel zur Versorgung. Doch ich muss immer wieder anhalten. Manch einer könnte sagen, hier gibt es doch nichts zu sehen, es ist doch eine endlose, karge, völlig öde Ebene. Aber das finde ich nicht. In der Ferne wird sie von bizarren Bergen eingerahmt und von nahem kann man die unterschiedlichsten Pflanzen erkennen. Büschel von Halfagras zum Beispiel, nur hin und wieder mal ein blühendes Kraut. Es hat sehr wenig geregnet in diesem Winter, aber zarte grüne Spitzen sind doch zu erkennen und so kreuzen unzählige Schafherden meinen Weg. Die Hirten sind Profis, meistens Männer und passen sehr wohl auf, dass Fahrzeuge nicht behindert beziehungsweise ihre Tiere nicht getötet werden. Sie sind freundlich, grüßen, mehr nicht. Kein Betteln, keine Ansprache. Auch schöne Vögel fliegen durch die Luft, aber es gelingt mir nicht, sie mit der Kamera einzufangen.

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Auch sehr interessant ist, dass ich die Strecke nicht kenne. Ich wusste noch nicht mal sicher, ob sie komplett asphaltiert ist, das geht aus der Karte nicht hervor, da ja die Karten über Marokko nie den genauen Straßenzustand zeigen. Ein Entdeckergefühl entwickelt sich, eine Neugier, eine Herausforderung. Früher hatte ich das viel öfter erleben können, aber heute sind fast alle Strecken in Marokko bekannt und dokumentiert. Nur der Osten – Marokko Oriental – bietet noch viele Geheimnisse. Und natürlich treffe ich keinen einzigen Ausländer.

Ein Übernachtungsangebot habe ich, die Olivenfarm von Thomas. Die Route geht genau daran vorbei. Aber Thomas ist nicht immer auf seiner Farm, sondern hat auch eine Wohnung in Er Rachidia, was seiner Frau besser gefällt, aber auch für die Schulbildung der Kinder günstiger ist. Und Thomas verpasse ich genau um einen Tag, er kommt erst morgen. Aber zwei Nächte möchte ich nicht bleiben. Später treffe ich bei Gourrama zwei deutsche Wohnmobile auf dem Weg zur Farm, ja, hätte ich das gewusst. So fahre ich also über Gourrama in die Ziz-Schlucht und schlafe in der Kasbah Jurassique. Schon lange kenne ich das dortige Hotel mit Campingplatz, aber noch nie habe ich da geschlafen. Und das ist einfach immer besser, man lernt es so einfach besser kennen. Und was ich lerne ist, dass es hier einfach köstlich schmeckt. Bodenständig und reichlich, sehr zu empfehlen. Ich hatte nur eine einfache Harira, aber das war die beste, die ich je in Marokko bekam.

So ein Pech aber auch

Man hat ja überall seine Freunde, und in Merzouga ist das für mich Ali Mouni. Wir haben eine lange Tradition, am Abend zum Flamingosee zu fahren und dort den Sonnenuntergang mit ein paar Bier zu genießen. Genau zu diesem Zweck habe ich in Spanien schon ein paar Dosen eingekauft. Vorher kommt Ali aber im Hotel vorbei, wir sitzen gemütlich zusammen, trinken mein Bier, es ist schön kühl, denn meine Suite hat einen Kühlschrank, und schmeckt recht gut. Da schaue ich ganz zufällig aufs Etikett. Und was steht da? Alkoholfrei. Ich muss total lachen und zeige es Ali, und im selben Moment schmeckt ihm das Bier nicht mehr. Mir schon.

Das war also die Generalprobe, der Ernstfall kommt am nächsten Abend. Da ziehe ich um vom Hotel Tombouctou ins Nomad Palace, Alis Hotel. Ich kannte Ali schon, als er mit seinem alten Land Rover in Erfoud vor den Hotels stand und auf Touristen wartete, die zum Sonnenuntergang an den Erg Chebbi fahren wollten. Dann hat er ganz am Ende von Merzouga, fast schon in Khamlia, seine eigene kleine Auberge gebaut. Einfach, aber mit viel Charme. Man saß nach dem Essen auf Kissen am Boden und die Jungs haben die Trommel geschlagen. Heute ist das ein wenig anders, Alis Palace hat inzwischen 35 Zimmer und die können sich sehen lassen, dazu gehören Gärten und Terrassen und ein Pool. Mein Zimmer hat ein King Size Bett auf einem Podest und eine gemütliche Sitzecke, dazu einen offenen Waschbereich und extra ein WC und eine Dusche. Und eine Klimaanlage gibt es auch, aber noch ist es nicht zu heiß. Und auch einen Kühlschrank. Wir fahren aber zunächst zum Hotel Merzouga, das ist die einzige Stelle hier am Erg Chebbi, wo man alkoholische Getränke bekommt. Ali traut mir nicht mehr. Und dann geht es zum Flamingosee. Der ist heute minus Flamingos und minus See, es hat ein Jahr nicht mehr geregnet, aber trotzdem schön. Unser Spot ist auf einem Berghügel, und von da aus können wir alles übersehen. Das Auto dient als Windschirm. Hinter uns wird später die Sonne untergehen. Direkt vor uns breitet sich eine Ebene aus, die von den goldenen Sanddünen eingerahmt wird. Hier glitzert in wasserreichen Jahren der berühmte Flamingosee und dann kommen innerhalb eines Tages Flamingos und viele andere Vögel von weither.

Wie schon gesagt, Ali und ich haben eine lange Tradition hier am See. Das sah früher so aus, dass wir entspannt in die Landschaft sahen, unser Bier tranken und ab und zu mal ein Wort sprachen. Wenn gerade mal Wasser im See war gab es natürlich auch Störenfriede, andere Geländewagenfahrer und vor allem Fossilienverkäufer, aber heute ist es absolut ruhig, wir haben den ganzen Nicht-See für uns. Allerdings habe ich Ali nicht für mich. Er telefoniert unablässig mit seinen zwei Handys. Wie ging das nur früher ohne? Aber ich gebs ja zu, hier geht’s ums Geschäft, und er ist der Boss. Mir macht das aber nichts, ich genieße es trotzdem. Hier zu sitzen gibt mir einfach Ruhe. Es ist so schön, für mich der schönste Punkt von ganz Merzouga. Vorbei ist der Stress der letzten Tage. Und als dann die Sonne untergeht und die Dünen rotgolden einfärbt, dann weiß ich einfach, warum ich her komme.

Im Hotel dann ist gerade eine Gruppe marokkanischer Studenten angekommen, etwa 50 junge Leute beiderlei Geschlechts. Für mich sehr interessant ist, zu beobachten, wie sie miteinander umgehen. Wenn ich es nicht wüsste, ich würde sie nicht für Studenten aus einem islamischen Land halten. Sie sind modern angezogen, ein Junge auch in knappen Shorts, während die Mädchen zwar modisch, aber nicht so halbnackt gekleidet sind wie junge Touristinnen aus einem anderen Land im gleichen Restaurant. Sie geben sich jung und unbeschwert, immer wieder sitzen kleine, gemischte Grüppchen zusammen, diskutieren, machen Musik und es gibt auch einige Liebespaare. Eine andere Gruppe geht nach dem Essen auf die Terrasse, um den Sternenhimmel anzuschauen. Sie benehmen sich fast wie deutsche Studenten, nur etwas wohlerzogener. Vielleicht auch, weil es ja hier keinen Alkohol gibt?

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Und hier vom Vorjahr Flamingosee plus Flamingos plus See

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