Chlorhühnchen

Sicher erinnern sich noch alle an die Chlorhühnchen von den TTIP-Verhandlungen. Genauso fühle ich mich nun. Auch heute Morgen, nach einer erholsamen Nacht, rieche ich noch komplett nach Chlor und auch mein Badezimmer, wo der Bikini trocknet, duftet diskret nach der Chemikalie. Zumindest bin ich nun weitgehend keimfrei.

Aber wie kam das? Gestern war ich wieder in meiner schönen Gym, natürlich mit dem üblichen Abschluss der 10 Minuten im Jacuzzi. Der ist stark gechlort, muss ja sein als öffentliches Heißwasser-Paradies für Keime. Wie immer waren auch andere Leute dort, darunter ein recht gut aussehender Mann, den ich auf 50+ schätzte, nur wenig älter als mein Sohn. Nach meinem ersten Wort fand er heraus, dass ich Deutsche bin (wie geht das eigentlich so schnell). Und daraufhin waren alle anderen im Becken abgemeldet. Wir stiegen ein in eine so lange, interessante Unterhaltung, dass ich am Ende 1,5 Stunden in der Chlorbrühe saß. Manchmal auf dem Rand, weil kein Kreislauf das aushält, dann wieder im Becken. Und es war ziemlich schwierig, im endlosen Redefluss von Al eine Pause zu finden, wo ich einwerfen konnte, dass wir die Unterhaltung doch lieber an einem anderen Tag weiterführen sollten. Aber schön wars. Al ist nicht der typische Florida-Redneck, der niemals aus dem Land heraus kommt und kein Wort einer Fremdsprache spricht. Er ist aus New York, war Banker in Wall Street, hat dort wohl so viel zusammen gezockt, dass er nun nicht mehr arbeiten muss, lebt in Florida, aber reist um die ganze Welt. Wo er wie ein Seeman in jedem Hafen eine Braut hat. Dazu spielt er Gitarre, teils auch in einer Band und ist wirklich eine sehr interessante Persönlichkeit. Irgendwann kamen wir aufs Alter zu sprechen und ich war ziemlich platt zu erfahren, dass er 63 ist. Er sieht selbst für einen, der 53 wäre, sehr jugendlich aus. Witzig war nur, als wir aus dem Becken stiegen und ich merkte, dass er fast einen halben Kopf kleiner ist als ich. Aber Größe zeigt sich anders.

Doch ich musste weg, da ich am Abend mit Carla im First Turn verabredet war. Bob war natürlich auch dort. Der Abend war kalt, und so baute die Band diesmal ihre Instrumente im Innenraum auf, ungewöhnlich, denn sonst bleibt trotz Kälte, Sturm und Regen jeder draußen, hält sich rund um das Fire Pit warm. Diesmal also drin, was insofern schlecht war, dass es nicht genug Platz zum Tanzen gibt. Denn Carla hat die Musik im Blut und liebt Tanzen, ich habe ja auch Lust dazu, traue mich aber nicht allein auf die Tanzfläche. Und Bob ist ja ziemlich faul geworden. Um 18 Uhr fing die Band also an, sie heißen Penta, sind Altrocker, und waren superspitze gut. 18 Uhr ist die Florida Zeit, da geht man abends aus und liegt dann meist um 22 Uhr schon im Bett. Und es dauerte nicht lange, da rockten auch Carla und ich und eine Menge anderer Mädels in dem engen Gang herum. Das ist genau das was ich an Florida liebe. Man kann in jedem Alter ausgehen, findet immer gute Bands, kann tanzen, was das Zeug hält und braucht noch nicht mal einen Partner dazu. Ein Deutscher würde nun sagen: Hier fühle ich mich wieder jung. Aber ein Floridianer kann immer jung sein, egal in welchem Alter. Es gibt so viele Möglichkeiten, auszugehen, dass ich schon jetzt wieder in meine Depression verfalle, wenn ich an Taunusstein denke. Dort gibt es am Abend nichts, als auf der Couch zu sitzen. Selbst im nahen Wiesbaden sind die coolen Lokale nur für die Jugend, da kann man als alte Frau alleine nicht hingehen und Spaß haben.

Ach, ich will nicht heim.