An den Kaskaden von Tissint

Eben die Sensation: 30 Grad auf meinem Autothermoter! Das erstemal für dieses Jahr. Ich bin in Tata, schon immer eine beliebte Stadt im Winter wegen seines warmen Klimas. Im Sommer kaum auszuhalten. Ich kann mich gut erinnern, dass ich schon im letzten Jahr die gleiche Strecke fuhr und plötzlich anhalten musste, um von einer langen Hose in eine Sommerhose zu wechseln. Aber das ist noch nicht alles. Rundherum ist karge, menschenleere Wüstensteppe. Und das ist genau mein Land. Hier kann ich aufatmen, hier kann ich Mensch sein. Die dicht besiedelte Atlantikküste ist nichts für mich, da bin ich gehetzt und gestresst. Hier bin ich glücklich, hier bin ich zu Hause.
Doch einen Wermutstropfen gibt es noch, ich weiß noch nicht genau, wo ich schlafe. Zwar gibt es in Tata das Hotel Renaissance, dessen Besitzer ich kenne. Dennoch ist es nicht so ganz mein Hotel, ist mir nicht persönlich genug, so wie ich das aus meinen Lieblingsgegenden kenne. Ich mache zunächst meine Arbeit, besichtige die Campingplätze, auch den neuen, der sehr schön geworden ist. Beim Wegfahren begegnet mir ein deutscher Kleinbus, Moment, diese allein reisende Frau kenne ich doch. Also fuhr ich ihr schnell hinterher. Und siehe da, es war Anne Marie. Auch sie will zum Nomadenfestival, wo wir uns auf jeden Fall getroffen hätten, aber so konnten wir uns hier schon mal Guten Tag sagen.
Doch dann überlege ich, vielleicht doch weiter nach Foum Zguid zu fahren. Ich komme von Guelmim, eine lange Strecke, und Tata wäre die ideale Etappenstation, aber in Foum Zguid ist das Bab Rimal von Naji, also sozusagen eine kleine Heimat. Nach der Erfahrung von letzter Nacht, dazu später, rufe ich mal lieber an und frage, ob er auch ein Zimmer für mich hat. „Hallo Naji, ich bin in Tata, möchte hier nicht übernachten.“ Er: „Warum schläfst du nicht in meiner Kasbah in Tissint?“ Ich: „In Tissint?“ Seit wann gibt es da ein Hotel?“ Er: „Seit ich eins gebaut habe. Ich rufe an und lasse dir ein schönes Abendessen richten.“
Ja, das ist es. So ist es immer in „Meiner Heimat“. Und nach Tissint ist es nur eine knappe Stunde auf der schnellen Straße, über die man mit 140 rasen könnte. Aber genau in dem Augenblick beginnt mein Urlaub. Das ist der Moment, in dem mir das Herz aufgeht und ich endlich Zeit für meine Umgebung habe. Zwei Kamel-Mütter begegnen mir, laufen mitten auf der Straße. Das eine Kindchen ist schneeweiß, ach, so eins hätte ich gerne. Zweimal halte ich an, einfach nur schauen. Was hat die Wüste, die Kargheit, nur an sich, dass sie mir so sehr entspricht? Das Hyatt in Taghazoute war wunderschön, der Blick aus dem Fenster auf die weite Bucht so herrlich. Aber für mich geht einfach nichts über die Wüste.
An dem Morgen stand auf meinem Programm Fahrt durch Agadir, noch 2 Plätze besichtigen, dann im Süden Takat, ein Camping in französischem Besitz, der sehr schön ist. Die kurze Fahrt durch den Massa-Nationalpark hat mir schon ein wenig Luft gegeben, habe auch zwei schöne Vögel fotografieren können. In Tiznit dann auch wieder ein neuer Platz, dort stand ein deutsches Wohnmobil und wie sich herausstellte, kannte ich die Besatzung schon vom letzten Jahr. Die Gespräche mit meinen Lesern sind immer nett, und wenn sie noch keine sind, dann bekommen sie sofort ein Buch verkauft. Und dann schließlich das Hotel Mauritania, das oben schon geschildert wurde. Ich blieb bis zum Couscous-Essen und das hat sich echt gelohnt. Eine Riesen-Portion und sehr schmackhaft. Das Lokal war bis auf den letzten Platz besitzt, die Tisch schön eingedeckt und mit Rosenblättern geschmückt. Aber Akkordeonmusik, wie er mir vor zwei Jahren gesagt hatte, gab es natürlich nicht.
Am Nachmittag dann traf ich in der Oase von Guelmim ein. Mein erster Gang ging zum Campingplatz von Hassan, den ich gut kenne. Hassan ist schon speziell. Er wohnt mit seiner Familie mitten auf dem Platz, die Türen immer offen, am Familienleben kann jeder teilhaben. Und genau da polarisieren sich die Meinungen. Die einen lieben es und kommen immer wieder, die anderen beschweren sich über unzulängliche Sanitäranlagen und Schmutz. Okay, es ist korrekt, dass es nur 1 Dusche und 1 WC gibt. Aber sauber ist es immer und das habe ich auch geschrieben. Und genau dafür wurde ich von Lesern heftig kritisiert. Ärgert mich natürlich. Also ging mein erster Gang zum WC. Und alles war sauber. Auch am nächsten Tag war ich nochmal da, es war sauber. Sauber!!! Ich sollte mir ein dickeres Fell zulegen, denn ich ärgere mich darüber. Sollte ich nicht.
Dann ging es zur Auberge Les Nomades, die ich mir insgeheim zur Übernachtung ausgesucht hatte. Nette Gespräche unterm Zelt, Tee und Kekse, aber ein Zimmer gab es nicht. Alles complet. Warum hast du nicht vorher angerufen, sagt Brahim. Ich ärgere mich, natürlich über mich, er hat ja recht. Ich fahre weiter und denke sofort an Saliha. Saliha ist schon eine Welt für sich. Die Französin und konvertierte Muslimim war die erste, die in der Oase ein Gästehaus eröffnet hatte, ihr Konzept ist es, das einfache, dörfliche Leben den Besuchern zugänglich zu machen. So gibt es keine klimatisierten Zimmer mit Bad, sondern einfache Lehmräume mit Matratzen auf dem Boden. Mein Abendessen habe ich mir – freiwillig – mit zwei süßen jungen Katzen geteilt. Im Stall gibt es Ziegen und Esel, Tauben und ein Pfau fliegen herum, die Schildkröte hatte sich gerade versteckt. Statt eines WCs gibt es nur ein Trockenklo, aber als Dusche heizt Saliha gerne die Hammam an. Und das Essen ist toll. Trotz der Einfachheit bleiben viele Leute eine Woche und sie hat für jeden Tag ein ausgeklügeltes Menü. Mit Saliha habe ich übrigens ausgehandelt, dass sie auf ihrem Parkplatz unter den schattigen Palmen eine Stellmöglichkeit bietet, aber nur für wenige kleinere Fahrzeuge. In den nächsten Campingführer kommt das rein, in der app ist es schon.
Ich habe mich also freundlich aufgenommen gefühlt, aber ein wenig mehr Luxus hätte ich schon gerne, was letztendlich zu der heutigen Übernachtung in Tissint geführt hat. Dieser winzige Ort in einer einst blühenden, heute darbenden Oase ist bekannt durch seine schönen Kaskaden, die das salzige Oued Tissint bildet. Auch der französische Sahara-Eremit Charles de Foucault hat im letzten Jahrhundert hier eine Zeitlang gewohnt, woran noch ein kleines Museum erinnert. Und in diesem gottverlassenen Dorf gab es natürlich kein Hotel. Bis Naji auf die Idee kam. So etwas geht manchmal schnell in Marokko.