Von Kiffa nach Selibabi und weiter nach Nouakchott

Eine Route bleibt aber noch, die ich gerne für mein Buch hätte. Und zwar die Verbindung von Kiffa direkt runter zum Senegal statt über die Route de l’Espoir zu fahren. Bei meinem letzten Besuch war das ein sehr langes Stück Piste, Idoumou riet ab, es würde mindestens 12 Stunden dauern. Nun aber sind die ersten 100 km bis Kankossa asphaltiert. Es bleiben jedoch noch 200 km Piste, die aber in der Regenzeit keinesfalls zu fahren sind, dort unten wäre dann alles verschlammt. Und das genau ist die Frage, hat es geregnet oder nicht? Und wird es regnen? Wir warten mit der Nachfrage bis zum Abend vor der geplanten Abfahrt und dann kommt die befreiende Auskunft, nein, es hat nicht geregnet, die Fahrt ist möglich. Inzwischen sind wir ja ein eingespieltes Team, wir stehen früh auf und laden den Pickup neu. Adana hat sich inzwischen verabschiedet, so sind es nur drei Männer und ich, die noch vor 7 Uhr abfahrtbereit sind. Die ersten 100 km auf Asphalt bis Kankossa sind schnell vorbei und bieten nichts besonderes, aber dann kommt die Piste. Ich habe es ja auch in Marokko schon gemerkt, wo immer mehr Pisten asphaltiert wurden, sobald das Teerband die Piste ersetzt ändert sich die Landschaft und die Schönheit nimmt Schaden. Und so ist es ein großer Unterschied, als wir auf der Piste sind. Hier sind wir viel näher dran an den Menschen. Es geht direkt durch die Dörfer, die immer afrikanischer werden. Hier unten ist der Großteil der Bevölkerung schwarz und Idoumou klärt mich auf, dass es in dieser Region zwei Stämme gibt, die sehr unterschiedlich sind. Die Toucouleur leben hauptsächlich nomadisch und ziehen mit ihren Herden, hauptsächlich Kühe mit langen spitzen Hörnern, umher. Ihre Dörfer bestehen aus malerischen Rundhütten mit Strohdach. Auf dieser Route kann man viele sehen. Vor einer Hütte steht eine wunderhübsche Frau, nett gekleidet, mit schönen Armbändern und zerstößt etwas im großen Holzmörser. Wir dürfen ungestört fotografieren. Das ist das tolle hier, die Menschen sind offen und freundlich und freuen sich sogar über Fotos.

Die Soninke dagegen leben immer in festen Häusern und betreiben Landwirtschaft. Sie leben mit der ganzen weitverzweigten Großfamilie zusammen, deshalb sind es sehr große Häuser, die bis an die 50 Zimmer haben können. Sie sind meist einstöckig und es ist ein Zimmer gleichförmig ans andere gereiht, es erinnert fast an ein Hotel. Es geht ihnen wirtschaftlich ganz gut, deshalb erbauen sie in ihren Dörfern sehr schöne, zweitürmige Moscheen. Auch der schwarze Bevölkerungsanteil ist ja zu 100 % dem Islam angehörend.

Im Dorf Hassi Chaggar kommt eine Frau an unser Auto gelaufen und fragt, ob wir sie bis Selibabi mitnehmen können. Natürlich, wir haben ja massenhaft Platz, jetzt wo Adana fehlt. Ein Deutscher hätte es sich vielleicht noch einmal überlegt, aber hier ist das keine Frage, natürlich nehmen wir sie mit. Es ist eine Soninke-Frau in mittleren Jahren, und wir erfahren erst im Laufe der Reise, dass sie bis nach Nouakchott will, um dort ihre Tochter abzuholen, die in der Hauptstadt arbeitet und zu Hause Ferien machen will. Das ist eine ziemlich weite Reise, fast 1.000 km. Und dafür hat sie nur ein ganz kleines Bündelchen dabei, ich glaube diese Frau hätte absolut kein Verständnis für mein Jammern nach dem vermissten Koffer. Und ich fürchte selbst Idoumou hat das nicht, obwohl er natürlich viel zu höflich ist, um das zuzugeben, und alle Räder in Bewegung gesetzt hat, um ihn zu finden.

Wir sind nun in dem Gebiet, wo man bei Regen nicht mehr durchkommen soll, und die Spuren davon sieht man deutlich. Fast metertief haben sich Reifenspuren eingegraben und die Zeichen des Ausbuddelns sind auch deutlich zu sehen. Hier ist alles Matsch bei Regen, hier geht nichts mehr, wir sind auf nur 50 Meter Höhe. Aber obwohl am Abend vorher schon dunkle Wolken zu sehen waren ist immer noch alles trocken. Ich greife mal kurz vor, wir kamen bei bestem Wetter durch. Aber am anderen Morgen erreichten uns zahlreiche Telefonate, zwischen Kiffa und Selibabi hat es die ganze Nacht geregnet und hört immer noch nicht auf. In dem Dorf der Soninke-Frau, sie heißt übrigens Kumba, ist kein Durchkommen mehr. Was haben wir doch alle für ein Glück gehabt.

In Selibabi eingetroffen dachte ich, Kumba steigt aus. Aber meine Männer haben ihr angeboten, dass sie weiter mitfahren darf, sie will ja genau wie wir nach Nouakchott, wenn wir das auch heute nicht mehr erreichen werden. Unterwegs erzählt sie, dass ein Sohn von ihr in Frankreich lebt, schon seit 13 Jahren, aber immer noch keine legalen Papiere hat. Sie fragt Idoumou, warum er nicht auch nach Europa geht, als weißer Maure müsste es doch einfach für ihn sein (keine Ahnung wie sie auf den Gedanken kommt). Aber gerade die Mauren fühlen sich in ihrem Land sehr wohl und wollen nicht fort, es ist eher der schwarze Bevölkerungsanteil, der diesen Wunsch hat. Im letzten Jahr ist ein Boot mit 40 Flüchtlingen auf dem Weg zu den kanarischen Inseln gekentert, die Menschen ertranken, 10 davon waren aus Kumbas Dorf.

Wir fahren kurz nach Selibabi rein, aber die Stadt ist nicht besonders sehenswert, den Umweg muss man nicht machen und kann gleich nach Mbout und Kaedi weiter fahren. Inzwischen ist Mittagszeit und wir suchen ein schönes Plätzchen. Gar nicht so leicht in der jetzt kurz vor der Regenzeit eher tristen Savannenlandschaft. Doch dann kommt eine hübsche Gruppe von schattigen Kokospalmen. Nur ist dieser schattige Rastplatz bereits besetzt. Toucouleur-Hirten mit ihren Kühen haben es sich hier bequem gemacht. Das ist wieder genau Idoumous Ding. Genau wie er mitten unter den Kamelnomaden biwakieren wollte muss es nun ein Lunch inmitten einer Kuhherde sein. Wir parken, Ahmed packt seine Küche aus, Idoumou haut sich aufs Ohr, Kumba macht es sich bequem und ich schaue mir die Kühe an mit einem kleinen Kälbchen, erst eine Woche alt. Ein Hirte ist so etwa Anfang 20, dazu drei Helfer im Teenageralter. Sie finden den Besuch natürlich toll, endlich etwas Abwechslung. Da stehe ich auf und hole aus meinem Vorrat eine Handvoll Bonbons. Gebe sie dem Ältesten zum Verteilen. Das macht er auch wirklich sehr gerecht. Es schmeckt ihnen und ich freue mich. Doch dann erhalte ich eine Lektion in Sachen Gastfreundschaft oder Großzügigkeit, die mich echt beschämt. Ich habe nur eine Handvoll Bonbons geholt, aber Kumba schaut sich das an, steht auf und holt aus ihrem kleinen Reise-Bündelchen, in dem wirklich nicht viel drin sein kann, eine ganze Tüte Datteln und gibt sie den Jungs. Ich bin platt. Das wäre doch eigentlich ihr Reiseproviant. Und als Ahmed unser Mittagsmahl fertig hat, bekommen die Jungs, obwohl sie dabei sind, sich selbst etwas zu kochen, eine eigene Schale mit Nudeln und Fleisch hingestellt und zwei Brote dazu. Eine solche Großzügigkeit habe ich in Deutschland noch nicht erlebt. Zum Abschied bedanken sich die Jungs für den schönen Tag.

In Kaedi fahren wir an den Senegal, denn einmal möchte ich doch den Fluss sehen. Die neue Asphaltstraße geht nämlich ein wenig entfernt vom Fluss, damit sie sicher vor den Überschwemmungen der Regenzeit ist. Ganz schönes Gewimmel am Fluss, der vom Regen braun ist. Alle sind fleißig mit Reinigungsarbeiten beschäftigt, keiner bettelt und wir können auch hier Fotos machen. Etwas entfernt ist eine Bootsanlegestelle mit dem Grenzübergang nach dem Land Senegal. Kleine Barken bringen Personen hinüber und ich traue meinen Augen nicht, es gibt sogar ein Holzfloß, mit dem man das Auto hinüber bringen könnte. Da Idoumou ja jeden kennt, auch den dort wartenden Grenzbeamten, fragt er, ob hier auch Ausländer rüber dürfen, und der Beamte sagt, ja. Von Mauretanien aus nach Senegal auf jeden Fall, in der Gegenrichtung nur, wenn der Reisende ein Multi-Entry-Visum hat. Das ist doch mal interessant, bisher nämlich nicht bekannt. Idoumou meint aber, es sei besser, wenn er vorher anriefe und das Vorhaben ankündigt.

Dann aber rast Idoumou nur so. Er will so viele Kilometer wie möglich auf dem Weg nach Nouakchott zurücklegen, denn er hofft am nächsten Tag schon früh in der Stadt zu sein, schließlich hat er mit mir viel Zeit verbracht und konnte sich nicht um seine Geschäfte kümmern. Solange wir auf Pisten waren hatte er ja keinen Mobilfunkempfang, aber seit wir wieder die mauretanische Zivilisation erreicht haben, geht sein Telefon ununterbrochen.

Wir hatten schon am Morgen ausgemacht, dass wir auch an diesem Abend wieder ein Biwak abseits der Route de L’Espoir aufschlagen. Also wird Kumba gefragt, ob sie in Aleg aussteigen und den Bus zur Weiterfahrt nehmen oder mit uns zusammen übernachten will. Sie will bei uns bleiben, es gefällt ihr inzwischen recht gut. Ich frage Idoumou ob sie das auch getan hätte, wenn ich nicht dabei wäre und damit keine Frau. Aber er meint, ja, das hätte sie. Das ist eben der Unterschied zwischen Mauretanien und Marokko, hier werden Frauen sehr respektiert und man würde sich nicht an einer Frau vergreifen. Dann finden wir zwischen Aleg und Boutilimit ein schönes Plätzchen auf Sanddünen, ein Dorf ist in Sichtweite. Und nun wird es Kumba doch mulmig. Hier gibt es Schlangen, Skorpione und was noch für ein Getier, meint sie. Soninke wohnten ja immer in festen Häusern, im Gegensatz zu fast allen anderen Mauretaniern, und dieses Schlafen unter dem freien Himmel, direkt auf dem Sandboden, das traut sie sich nicht zu. Wir bauen extra das Zelt auf, das wir bisher noch nicht gebraucht hatten, aber sie traut sich dennoch nicht und wird schließlich zusammengekrümmt im Auto schlafen. Ein Kamelreiter kommt vorbei und fragt nach etwas Wasser, aber es ist klar, das ist nur ein Vorwand. Er wollte doch einfach mal schauen, was für Menschen sich da nahe dem Dorf niedergelassen haben. Er ist zufrieden und zieht ab. Ahmed setzt uns sein Abendmahl vor und wieder sucht sich jeder sein Eckchen, ich gehe ins Zelt, wenn es schon mal da steht, lasse aber die Tür auf, damit Luft herein kommt. So langsam freunde ich mich mit dem biwakieren an. Es macht Spaß und ist auf jeden Fall schöner als eine Einfach-Auberge. Sofern ich jeden zweiten Tag irgendwo eine Dusche bekomme. Aber immerhin bekomme ich immer eine Flasche Wasser für die „Dusche“, habe nun mein Waschzeug und einen Pyjama.

Auch an diesem Morgen sind wir früh wieder auf der Straße. Eigentlich dürfte es nun kein Abenteuer mehr geben, nur noch der Kamelmarkt am Rande von Nouakchott. Ich stelle mir vor, wir parken davor und ich schlendere drüber. Habe mal wieder meine Rechnung ohne Idoumou gemacht. Er fährt mitten auf den Markt, mitten in die dicht gedrängt stehenden Kamele mit ihren Besitzern hinein. Ich fasse es nicht. Leider ist es hier nicht ganz einfach Fotos zu machen, die Kameltreiber und Käufer haben das nicht gerne, dabei wären malerische Fotos möglich. Gebe die Kamera Idoumou in die Hand, er macht zumindest einige.

Pünktlich um 10 Uhr bin ich dann im Hotel, wieder im Royal Suites wie zu Beginn, und da alles mit Idoumou abgesprochen ist darf ich auch so früh schon in meine alte Suite. Ist ja schon interessant, mit wie unterschiedlichen Augen man etwas sehen kann. Am ersten Tag, frisch aus Deutschland gekommen, habe ich über alles nur geschimpft. Das Wasser ist nicht warm und tröpfelt nur, die Kaffeemaschine geht nicht, im Bad steht eine Waage, aber die Batterien sind leer, das Frühstück so was von unprofessionell. Habe mich aber dennoch entschieden wieder hierher zu kommen, weil der von Idoumou ausgehandelte Preis einfach unschlagbar ist. Und nach all meinen Wüstennächten kann ich das gemütliche Bett schätzen, die Klimaanlage genießen, das Internet auf dem Zimmer, und das Hotel ist plötzlich gar nicht mehr so schlecht. Bin mal gespannt, was es morgen zum Frühstück gibt.