Gestern war ich zum Abendessen eingeladen bei dem Teppichhändler Ali. Ich sage weder seinen vollen Namen noch wo sein Laden steht. Ali ist ein alter Freund, ich kenne ihn schon aus der Zeit, als ich noch keine Bücher schrieb. Damals sprachen mich Jungs vor seinem Laden an, baten mich, ihnen bei einem Brief in Deutsch zu helfen. Was natürlich ein alter Trick ist, um Besucher in den Laden zu ziehen. Und seitdem komme ich auf meinen jährlichen Reisen immer mal wieder vorbei und werde jedesmal zu seiner Familie zum Abendessen eingeladen. Das ist eine ziemlich steife Angelegenheit, aber ich komme nicht darum herum. Zunächst begrüßen mich alle Familienmitglieder, ich kannte sie schon, als es noch zwei Kinder gab, nun gibt es vier, dabei soll es auch bleiben. Dann wurden die großen Tabletts mit Gebäck und Nüsschen von Spitzentüchern befreit und der Tee serviert. Ali kam und ging immer mal wieder, die Kinder ebenso und die Frau, die nicht französisch spricht, war meist in der Küche. Natürlich hat man dann zu meiner Unterhaltung den Fernseher angeschaltet. Ali wohnt in einem hübschen, gemieteten Haus und erzählt mir schon seit zwei Jahren, dass er dabei ist, ein eigenes Haus zu bauen.
Nun bin ich also wieder in seiner Teppichstadt eingetroffen und erhalte die übliche Einladung zum Familiendinner. Zum Glück ist Anne gerade mit ihrem Wohnmobil auf dem Campingplatz, Anne, die mir schon bei der Hochzeit in Mhamid gute Gesellschaft geleistet hat. Da habe ich doch wenigstens jemanden zum Reden. Aber ich bin auch ziemlich neugierig, denn Ali sagte, dass er nun in seinem neuen Haus wohnt. Wir fahren durch die Dunkelheit und halten vor einem großen Haus, das auf mich wie ein Mietshaus wirkt. Ich bin ziemlich enttäuscht. Es hat 3 Etagen plus Terrasse und ist nicht frei stehend, sondern ein Reihenhaus, im Dunkeln sehe ich nicht viel, vielleicht drei gleichartige Häuser nebeneinander. Es gibt mehrere Klingeln, bin weiterhin tief enttäuscht. Ich hätte Ali mehr zugetraut als eine Eigentumswohnung. Die Tür geht auf und wir werden von einer die Farbe wechselnden Fontäne empfangen. Ja, das ist schon was, es ist also eine hochwertige Eigentumswohnung. Es geht die Treppe hinauf, die Wohnung im 1. Stock wird passiert, wir treten ein in den 2. Stock und ja, ist schon herrschaftlich. Gleich zu Beginn ein schickes Waschbecken, das ist marokkanisch, das würden wir nicht machen, aber es macht Sinn. Die Leute müssen sich ja vor dem Essen die Hände waschen und brauchen so nicht das Familienbad zu benutzen.
Es geht weiter in einen Salon, den ich von der Einrichtung schon kenne. Fast genauso wie im alten Haus. Nur ein klein wenig größer. Anne und ich nehmen auf den Sitzpolstern Platz, die gleiche steife Angelegenheit geht vor sich. Ich bin ja ziemlich neugierig auf die Wohnung, halte mich aber doch zurück und frage nur ganz dezent. Dann fragt Ali, ob ich eine Tour möchte. Ich sage begeistert ja. Darauf werden die Kinder in ihre Zimmer geschickt, die Frau verschwindet ebenfalls, um ein wenig Ordnung zu machen. Nach dem Tee dann dürfen Anne und ich los. Es zeigt sich sofort, dass das Ordnung machen nicht nötig gewesen wäre, in dieser kurzen Zeit konnte man nicht viel erreichen und die Zimmer sind perfekt. Ich bin wieder enttäuscht. Die beiden Mädels schlafen zusammen in einem recht kleinen Zimmer, die Jungs, die doch einen ziemlichen Altersunterschied haben (13 + 5) im anderen. Wir hätten natürlich versucht, jedem Kind ein eigenes Zimmer zu geben. Aber viel später, nach der Tour, erkenne ich erst, dass dies Absicht ist. In Marokko sind die Familien einfach näher zusammen.
Die Etage hat dann noch eine relativ große Küche, ein schönes, großes Elternschlafzimmer, zwei Bäder und ich dachte, das wars. Doch dann werden wir um die Ecke geführt und ich betrete einen riesigen, von Säulen gestützten Salon. Es gibt schon Sitzpolster, aber noch keine Teppiche und alles riecht ganz neu. Ali erzählt, dass sie erst 20 Tage in dem Haus leben und es ist noch lange nicht alles fertig. Dieser Raum ist für Gäste gedacht und vor allem für große Feste. Denn bei solchen Gelegenheiten sitzen die Frauen zusammen und die Männer getrennt, das hier sollte also der Männersalon werden. Nun bin doch ziemlich beeindruckt. Ich frage wieviel Quardatmeter er zum Wohnen hat, Ali antwortet 254 qm. Eine Menge.
Doch dann führt uns Ali noch eine Treppe höher. Dort sind weitere Schlafzimmer und in der Mitte eine große, offene Terrasse, von der man den Sternenhimmel betrachten kann. Wenn die Stadt halt nicht so hell erleuchtet wäre. Auch eine Küche gibt es hier und Badezimmer, und Ali erklärt, dass dieser Bereich im heißen Sommer genutzt wird oder eben als Gästezimmer.
Wie schon zuvor bin ich beeindruckt. Doch es geht weiter. In die 1. Etage. Es stellt sich so langsam heraus, dass dies keine Eigentumswohnung ist, sondern dass Ali dieses komplette Haus gehört. Diese Wohnung im 1. Stock ist komplett leer, ist anders geschnitten und verfügt vor allem über einen riesigen, von Säulen getragenen Salon, in dem man tanzen könnte. Ich fange langsam an zu rechnen, irgendwie kommt das mit den 254 qm nicht hin. Und dann stellt sich heraus, dass wir uns missverstanden haben. Das Grundstück hat 254 qm, und alles ist umbaut, es gibt keinen Garten. Darüber drei Wohnetagen und im Erdgeschoss eine riesige Ladenfläche. Noch ist sie leer, aber sie könnte mal den Teppichladen beherbergen. Und dann gibt es noch das Untergeschoss. Auch das sauber gefliest, auch das mit Küche und Bad, aber langsam habe ich irgendwie den Überblick verloren.
Ziemlich erschöpft falle ich wieder auf meine Sitzpolster und lasse mir das Abendessen auftragen. Wie in Marokko üblich wird sehr spät gegessen, den Kindern fallen schon dauernd die Augen zu und wir bekommen ein köstliches Tajine, Salate und einen üppigen Obstkorb.
Ich frage Ali, wer das denn alles putzt. Er zeigt auf seine Ehefrau. Die Männer sehen vielleicht nur das schöne Haus, Anne und ich die Arbeit, die dahinter steckt. Latifa versteht sofort und seufzt. Ich glaube, das ist ein Punkt, den das Ehepaar noch klären muss. Er muss verstehen, dass sie Hilfe braucht, aber sie muss auch akzeptieren, dass eine andere Frau bei der Arbeit hilft und es vielleicht nicht ganz richtig macht. Ein Gewöhnungsprozess. Aber als ich Ali sage, dass er am Abend doch eine fröhliche fitte Frau haben will und keine erschöpfte Putzratte scheint er sich die Sache zu überlegen.