Archiv für den Monat: Dezember 2021

SunRail

Regionalverkehr in USA. Für mein Buch über die Biketrails wollte ich mal die Zugverbindung prüfen. Leider ist es so, dass es nur eine Linie gibt, der SunRail von DeBary über Orlando nach Kissimee, gut 80 km. Das ist nicht viel und sie fährt auch nur während der Woche, richtet sich also nur an die Commuter. Dennoch ist diese Zugverbindung auch für Radfahrer interessant, zumindest einige der Trails sind so zu erreichen.

Ich kam daher recht früh am Bahnhof in DeBary an. Der erste Pluspunkt für den Regionalverkehr in Florida, es gibt unzählige Parkplätze und kostenlos. Habe also mein Auto geparkt und das Rad abgeschnallt. Am Bahnsteig erst einmal Ausschau nach Tickets gehalten, es gibt einen Automaten. Aber auch einen Ambassador, in diesem Fall eine sehr freundliche Frau, die den ganzen Tag auf dem Bahnsteig herumsteht, an diesem Tag in der Kälte, und den Fahrgästen mit Rat und Tat behilflich ist.

Der Apparat erklärt sich von selbst, man zahlt mit Kreditkarte, aber die nette Dame wies daraufhin, dass ich das Ticket entwerten muss, „tap“. Hätte ich nicht gewusst. Nach dem Aussteigen noch einmal. Das ganze kostet mit Rückfahrt nur 3,85 $ für Senioren, da sollte sich der deutsche Regionalverkehr doch mal eine Scheibe abschneiden. Für etwa 50 km. Und das Fahrrad ist frei. Die Dame wies mich auch noch daraufhin, dass ich am besten in den ersten Wagen einsteige, es gibt eh nur zwei, da wäre mehr Platz für Räder. Und dann sagt sie noch, dass ich eine Maske brauche. Oh, daran hätte ich nicht gedacht, seit meinem Flug nach USA vor 2 Monaten hatte ich keine Maske mehr auf, aber ich krame in meiner Radtasche und finde eine. Nur, der Gummi ist ab! Doch die Ambassadorin kramt in ihrer Handtasche und gibt mir eine neue Maske mit den Worten Merry Christmas. Vorbildlich!

Im Zug dann gibt es eine Längsbank, die klappt man hoch und findet Platz für 2 bis 3 Fahrräder. Super. Ein Mann hinter mir trägt keine Maske, der Zugbegleiter moniert das. Ich höre die Antwort nicht. Nach einiger Zeit kommt der Zugbegleiter wieder, immer noch keine Maske, und der Mann fliegt aus dem Zug. Nein, nicht während der Fahrt, er darf an der Haltstelle aussteigen.

In Orlando dann habe ich Zugang zum Orlando Urban Trail und noch weiter zum Cady Way Trail. Ein wirklich schöner Tag.

Impfen

Ich möchte hier keine Position einnehmen für oder gegen Corona, sondern einfach mal schildern, wie die Situation um mich herum im Augenblick ist. Ich nehme schon seit einigen Monaten teil an einer Studie und muss regelmäßig einen Fragebogen ausfüllen, wie es mir geht, ob ich getestet, geimpft wurde oder an Corona erkrankt bin. Gestern nun gab es in diesem Zusammenhang eine Telefonkonferenz mit weiteren Fragen. Dabei wurde ich gefragt, ob ich bereit sei, mich für die Studie testen zu lassen.

Diese Frage hat mich erstaunt bzw. zum Nachdenken gebracht. Bisher wurde ich genau 3x getestet. Zweimal im Zusammenhang mit einem Flug in die USA, einmal vor einer OP im Krankenhaus in Deutschland. Bisher dachte ich, in meinem sicheren Umfeld lebend, ich brauche mich nur dann zu testen, wenn ich mich krank fühle oder Symptome habe, die auf Corona hinweisen.

Diese Frage aber hat mir zum Bewusstsein gebracht, dass im Moment in Deutschland testen alles ist. Natürlich schaue ich mir Nachrichtensendungen an, weiß von der 3 G Regel oder 2G+. Aber irgendwie habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht. Ja, es scheint so, dass man sich in Deutschland ständig testen muss. Wohin man auch gehen möchte.

Aber ich bin in Florida. Hier gibt es an jeder Ecke und in jeder Nachrichtensendung die Aufforderung, sich impfen zu lassen. Und wenn man das tatsächlich tun möchte hat man so viele Impfstellen, dass man sie kaum zählen kann und bekommt innerhalb einer Stunde einen Termin dafür. Nicht so beim Testen. Ja, es ist mir irgendwann mal ein Hinweis aufgefallen, dass zum Beispiel beim Drogeriemarkt Walgreens ein Testen im Drive-in möglich ist. Testen ist hier für nichts vorgeschrieben, testen lassen sich vermutlich nur Menschen, die glauben, sie sind krank. Ich jedenfalls treffe keine, die sich testen lassen. Warum diese Unterschiede? Wir hatten im Spätsommer auch einmal hohe Infektionszahlen, im Augenblick sind sie niedrig.

Was hier aber getestet wird ist das Wasser der Ableitungsrohre. Und dort fand man die Omikronvariante, auch in Florida und ganz in meiner Nachbarschaft. Also nicht an einem Menschen, sondern im Abwasser.

Wie schon zu Beginn gesagt, ich will hier keine Einordnungen treffen, einfach nur berichten, wie die Lage bei uns ist. Wenn man mich aber fragt, wo ich am liebsten wäre in dieser Situation. Ganz klar, hier in Florida. Wir leben das ganz normale freiheitliche Leben.

In den Händen des Jihad

Jihad meint wörtlich „Bemühung“ oder auch „Anstrengung“. Die islamische Tradition kennt sowohl den „kleinen Jihad“ als auch den „großen Jihad“: Der „kleine Jihad“ ist kriegerisch. Er beschreibt den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets. Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge oder Befreiungskämpfe verwendet.

Aber heute habe ich mich ganz freiwillig Jihad ausgeliefert. Denn es ist auch ein Name für Männer und so heißt der junge Flight Instructor auf dem Airport von New Smyrna Beach, dem ich mich nun anvertraue. Denn ich möchte mir selbst einen Wunsch erfüllen und mich in die Luft begeben. Mit ihm.

Im Jahr 1997 habe ich in Daytona Beach meinen Flugschein für einmotorige Maschinen gemacht und bin fünf Jahre lang sehr viel geflogen. In Florida und in Deutschland. Doch das endete 2002, seit dem habe ich keine Controls mehr in Händen gehabt. Und als ich neulich nahe dem Daytona Flughafen die kleinen Maschinen hereinkommen sah zur Landung, da regte sich einfach mal wieder der Wunsch, selbst in die Luft zu gehen.

Viel, sehr viel hat sich geändert seit 1997. Damnals ging es nicht nur sehr locker zu auf einem Flugplatz, es war auch viel billiger. Damals habe ich pro Trainingsstunde mit Instructor 68 $ bezahlt, heute kostet es 158 $. Und die Sicherheitsvorkehrungen sind groß. Man kann nicht mehr einfach so auf die Runway spazieren, wie das damals war, alles ist umzäunt und abgesichert. September 11 hat da sehr viel geändert.

Aber auch die Maschinen. Ich hatte mein Training damals immer in einer zweisitzigen Cessna 152 mit sehr einfacher Ausrüstung, natürlich kein GPS. Heute habe ich eine super ausgerüstete Cessna 172, die sogar einen Autopiloten hat. Und keine kleine Flugschule, die aus einem Büro und einem Hangar besteht, sondern eine Flight Academy, wo die Piloten in weißen Hemden herumlaufen und einem Laden, wo man seinen ganzen Flugbedarf kaufen kann. Damals mussten wir zum Laden der Embry Riddle University gehen.

Und dann kommt Jihad. Er war mir sofort sympathisch. Er ist in USA geboren, aber die Familie stammt aus Dubai. Sehr nett und verständnisvoll. Da ich als Pilotin nicht „current“ bin darf ich eigentlich nicht links auf der Pilotenseite sitzen. Aber natürlich setzt er mich sofort dorthin. Keine Panik, er kann natürlich die Maschine auch komplett von rechts bedienen.

Und schon während wir zur Startbahn rollen, nein, eigentlich schon beim Precheck, merke ich, wie viel ich vergessen habe, bzw. wie viel sich inzwischen geändert hat. Er bietet es mir an, aber nein, ich will den Start nicht selbst durchführen und auch später nicht die Landung. Aber in der Luft drehe ich munter meine Turns so wie er es ansagt, und wir haben Spaß. Wir fliegen sogar über mein Wohngebiet, immerhin Charley Airspace von Daytona, wofür wir eine extra Erlaubnis brauchen, und ich kann paar Fotos machen.

Danke Jihad, einen solchen Jihad nehme ich gerne in Kauf.

Ein Postpaket auf Reisen

In Coronazeiten träumen sicher viele vom Reisen und müssen doch zu Hause bleiben. Einer schafft es, bzw. eines. Nämlich mein Postpaket. Am 11. November wurde es in Wiesbaden aufgegeben und erreicht schon 2 Tage später den Flughafen Frankfurt, sind ja immerhin 35 km. Dort hatte es ausführlich Zeit, sich die landenden und abfliegenden Flugzeuge anzuschauen und darauf zu hoffen, dass es endlich in einem einen gemütlichen Platz erhält.

Das muss dann gelungen sein, denn am 1. Dezember traf es tatsächlich in New York ein. Konnte sich aber nicht die Stadt ansehen, sondern musste erst zum Zoll in New Jersey, wo es am 4. Dezember abgefertigt wurde. Am 7. Dezember machte es sich dann auf den Weg nach Florida, dem Zielbundesstaat, dieses Paket liebt genau wie ich die Sonne. Dann folgte ein wirklich aufregender Tag, denn am 8. Dezember kam es in Orlando an (80 Meilen vom Ziel), wurde sofort weiter geleitet nach Jacksonville (100 Meilen vom Ziel), wo es noch am frühen Abend eintraf.

Dazwischen muss man allerdings einschieben, dass die Empfängerin bereits am 6. Dezember die Mitteilung bekam, das Paket würde am 6. Dezember eintreffen, eine völlig wirklichkeitsfremde Aussage. Dennoch war die Empfängerin guten Mutes, dass das Paket doch vielleicht bald eintrifft.

Am 10. Dezember dann aber die überraschende Mitteilung, dass sich die Sendung auf dem Weg nach Miami befindet, wo es tatsächlich am 11. Dezember eintrifft. Miami ist ja auch eine interessante Stadt, wenn auch 280 Meilen vom Ziel. Aber Florida bietet noch viele schöne Örtlichkeiten und ich glaube, erst wenn mein Paket sich all diese angeschaut hat, wird es endlich in Daytona Beach ankommen. Falls es nichts Besseres findet.

Drink am Abend

Am Abend im Hotel sollte ich mich hinsetzen und die neuen Informationen aufschreiben. Aber so richtig habe ich keine Lust, da fehlt noch was. Nein, kein Abendessen. Gestern war ich bei Sonny’s BBQ und bekam so viel, dass ich heute mit dem Doggie Bag total satt wurde. Aber ich hatte Lust auf einen Drink. Das Schöne an meinem Hotel ist ja wirklich, dass ich vieles zu Fuß erreichen kann. Restaurants und meine Lieblings-Shopping-Läden. Und auch Chili‘s. Eigentlich ein Restaurant, aber man kann sich auch nur an die Bar setzen und was trinken.

Natürlich einen Margarita Presidente. Den kenne ich von vor langer Zeit. Zum Glas Margarita bekommt man noch einen Shaker voll mit Nachschlag. Richtig gut. Und da sitze ich nun, schaue mich um und denke. Ein Mann setzt sich vier Stühle neben mich. So ganz unauffällig rutscht er immer einen Stuhl weiter zu mir. Ich liebe es ja, True Crime zu schauen. Also Kriminalfälle, die wirklich passiert sind. Wo Leute (Frauen!) in der Bar sitzen und auf dem Nachhauseweg überfallen werden. Verschleppt und stundenlang vergewaltigt, bevor man sie tot auf der Müllhalde ablegt.

Naja, zum Glück habe ich ja keine Angst. Weder vor den Alligatoren noch vor Serienkillern. Aber vorsichtig bin ich schon. Auf dem 500 m langen Heimweg blicke ich mich ständig um. Wenn mich wirklich jemand überfallen würde, wäre auf einer Seite eine sechsspurige, viel befahrene Straße, die so viel Krach macht, dass man meine Schreie nicht hört. Auf der anderen Seite Läden, die längst geschlossen sind, und dahinter freie Landschaft.

Ach, ich liebe es einfach zu verreisen, es ist immer abenteuerlich, auch wenn man sie sich nur ausdenkt.

Lake Apopka North Shore Loop

Im Februar 2020, kurz bevor Corona um die Welt ging, war ich in Apopka, um die schönen Bike Trails hier zu recherchieren. Und stieß auf den North Shore Loop, den ich aber zeit- und kraftmäßig leider nur zur Hälfte fahren konnte. Und seitdem stand dieser Loop auf meiner Wunschliste, denn er ist in meinen Augen der schönste, den Central Florida zu bieten hat. Es ist ein Wildlife Drive durch ein Naturschutzgebiet mit unzähligen Vogelarten, aber auch dicken fetten Alligatoren.

Lake Apopka Wildlife Drive

Im Grunde fahre ich nur bis zu 30 – 35 km pro Tag, da ich ja doch schon eine ältere Dame bin und hier kein eBike zur Verfügung habe. Es war klar, der Loop ist länger, aber ich habe ja auch den ganzen Tag. Dazu etwas Obst, es wird schon gehen.

Bloß, zu Beginn kam ich einfach nicht weiter. Schon gleich am Anfang lagen dicke fette Alligatoren am anderen Ufer in der Sonne und ließen sich wärmen. Und die Vögel! Einer schöner als der andere. Zwar habe ich tatsächlich schon alle Vögel selbst fotografiert, die man in Central Florida so sehen kann, und auch schon ein Buch darüber gemacht, aber trotzdem musste ich immer mal anhalten, weil es einfach doch wieder ein schönes Motiv gab.

Es waren sehr, sehr wenige Menschen unterwegs und überhaupt keine Radler. Die kommen alle eher am Wochenende. Wenn mir hier etwas passiert bin ich auf mich selbst gestellt, und nein, ich habe kein Flickzeug dabei. Nur den schon vielfach genutzten Schutzengel. Am alten Pump House sitzen zwei Männer mit dickem Teleskop und warten auf Vögel, den fetten Alligator, der gleich daneben liegt, haben sie noch nicht mal bemerkt. Ist nicht in ihrem Beuteschema. Doch frage ich sie, ob sie mich mal vor dem Gator knipsen können.

Mein Ziel ist der Green Mountain, Endpunkt des Trails. Ein Berg in Florida? Ja doch, ganze 41 m hoch. Das ist schon was. Deshalb führt ein Serpentinenweg hinauf und oben gibt es einen Outlook, von dem man auf die Marsch schaut. Ein lohnenswertes Ziel, wenn man keinen Himalaya hat. Am Ziel angekommen habe ich schon gut 25 km geschafft, nicht schlecht für mich. Aber natürlich muss ich das gleiche wieder zurück, denn einen lieben Engel, der mich jeweils am Ende abholt, habe ich leider nicht. Die Trails in Florida sind leider nie Rundwege, man muss auf dem gleichen Weg zurück. Aber zuvor suche ich noch die Toilette auf. Das ist einfach vorbildlich in USA. Es gibt immer saubere und kostenfreie Toilettenanlagen, da muss sich Deutschland eine Scheibe abschneiden. Auch Trinkwasser ist da und die Möglichkeit, seine Trinkflasche zu füllen.

Zwar wünsche ich mir manchmal auf der Strecke, ein Pickup von einem Ranger würde mich auflesen, aber doch nicht wirklich. Ich habe natürlich den Ehrgeiz, es zu schaffen und bin noch nicht mal sehr kaputt, als ich wieder am Pumphaus ankomme. Ein einzelner Mann sitzt auf der Bank und telefoniert. Laut. Zwar dachte ich manchmal, ist da nicht ein deutscher Klang in der Sprache, aber er spricht eindeutig englisch. Mein Freund der Gator liegt nun nach Stunden immer noch unbeweglich auf seinem Platz und ich mache ein Video. Ob ich ihn mal streicheln soll? Der Telefonierer ist fertig und fragt mich, ob er richtig gehört habe, dass ich mit dem Alligator Deutsch gesprochen habe. Ja, genau. Und er ist Österreicher. Lebt aber schon lange in USA. Zunächst in Kalifornien, das er aber, wie angeblich auch viele andere, verlassen hat, weil dort die Coronamaßnahmen so streng sind. Und ich muss mir eine lange Litanei über Coronapolitik anhören und warum man sich nicht impfen lassen sollte.

Ich flüchte. Auf dem letzten Stück zum Parkplatz dann Wegelagerer. Im Abstand liegen dort vier Alligatoren auf dem Weg. Was macht man da? Man filmt!