Felsenkriechen im Djebel Saghro

Natürlich habe ich Angst. Ich bin völlig allein in einsamer Landschaft und vollkommen auf meinen Land Rover und meine Fahr- und Navigationskünste angewiesen. Weiß noch nicht mal genau, wo ich bin, denn die Strecke ist in keiner Karte markiert. Das einzige, was mich aufrecht hält sind die Fahrzeugspuren. Hier sind mit Sicherheit in den letzten Tagen Autos mit 4 Rädern gefahren und offensichtlich durchgekommen. Aber die Felsenpiste ist extrem schlecht, es geht in Treppenstufen aufwärts, nicht selten berühre ich Boden. Wichtig dabei ist, möglichst langsam zu fahren. Ich versuche, bei meiner Automatik das Sonderprogramm Felsenkriechen einzustellen, aber es geht nicht. Die Anzeige sagt, ich muss dazu auf manuelles Schalten gehen und den niedrigsten Gang einlegen. Um das zu finden müsste ich erst die Betriebsanleitung studieren, also fahre ich in der Funktion Schotter weiter. Langsam, langsam. Aufrecht hält mich auch, dass ich natürlich Essen und Trinken dabei habe. Im Geiste gehe ich die Notfallprozeduren durch, wen rufe ich an, wenn ich nicht weiter komme. Aber das mache ich sogar auf der Autobahn. Da denke ich immer vor mich hin auf der Rückfahrt, ach, jetzt komme ich in ein europäisches Krankenhaus, jetzt in ein deutsches, und jetzt sogar in ein Wiesbadener Hospital. Das war schon immer so. Und noch nie musste ich es in Anspruch nehmen.

Warum bin ich eigentlich hier? Ich habe schon immer nach einer Abkürzung gesucht, von Skoura ins Dratal. Und ich hoffte, dies sei eine. Hassan im 123Soleil meinte, kein Problem, 3 Stunden und du bist da. Ist nicht schwierig. Wie oft habe ich ihn heute schon verflucht.

Aber zurück auf die Piste.  Irgendwann bin ich tatsächlich mal auf 2.000 Meter Höhe angekommen. Eines ist klar, egal was passiert, es geht nur vorwärts weiter, diese Piste fahre ich nicht zurück. Zum Lenken bräuchte man beide Hände, aber ich muss das GPS halten, da ich die Halterung vergessen habe, muss ins Diktiergerät die Beschreibung der Strecke sprechen und poste dazwischen Fotos der Berge in Facebook. Multitasking, hier ist es. Zum Glück bin ich eine Frau.

Drei französische Geländewagen kommen mir entgegen, zum Glück an einer Stelle, wo die Piste recht breit ist. Der Führer wohl ein Profi, der hier öfter fährt. Er meint, es kommt noch schlimmer. Aber die Landschaft sei traumhaft. Na danke, das muntert ungeheuer auf. Dann kommen Endurofahrer. Ich stoppe bei jedem, damit sie auch sicher vorbei kommen, der erste teilt mir mit, dass es ein Begleitfahrzeug gibt. Natürlich hoffe ich an jeder breiten Stelle, dass es nun kommt, aber leider nichts. Dann sehe ich eine weite Pistenanfahrt auf einen Berghang vor mir, der Abgrund immer dicht dabei. Kein Fahrzeug, also los. War ja klar, dass es genau hier kommen musste. Wir bleiben beide stehen, der andere findet eine Stelle zum Ausweichen und sein Kollege winkt mich vorsichtig vorbei. Es geht immer irgendwie.

Dann steht ein Junge vor einem Steinhäuschen. Ich vergewissere mich, dass ich auf der richtigen Piste bin, viele Menschen zum Fragen gab es ja nicht, und dann bittet er mich, dass ich ihn mitnehme. Aber gerne doch. Dann brauche ich an den nächsten Abzweigungen nicht zu überlegen. Aber die Freude währt nur 4 km, dann steigt er aus. An einer Stelle, die genauso einsam war wie die, an der ich ihn aufgelesen habe. Wo der wohl hin will?

Ich kann kaum glauben, dass ich tatsächlich irgendwann ankomme. Ich hatte es mir völlig offen gelassen, ob ich nach Nekob fahre oder nach Agdz. Ich erreiche die neue Teerstraße, die links vom Dra durch die Dörfer geht. Wenn ich rechts abbiege komme ich nach Agdz, das soll es also sein. Es ist Freitag, gegen 13:30 Uhr, der Muazzin ruft, die Menschen gehen zum Mittagsgebet. Und ich komme genau bei meinen Freunden in Agdz an, als die ganze Familie zum Couscous versammelt ist. Endlich mal wieder ein Familienessen, kein Restaurant. Angekommen. Richtig schön.