Auf Spurensuche in Adenau – 1957 bis 1961

Ausflüge in die Vergangenheit sind einfach grandios. Ich kann nur jedem empfehlen, das zu machen. Im letzten Jahr hatte ich schon meine Geburtsstadt Boppard besucht, dann Bad Kreuznach, wohin ich mit 6 Jahren verzogen war. Und diesmal stand Adenau auf dem Programm. Die Stadt in der Eifel direkt am Nürburgring. Den Ring, den ich in seiner Blütezeit erlebt habe.

Gestern hatte ich mir spontan ein Zimmer im Blauen Eck für heute reserviert. Und im Internet nach Chronisten geschaut. Ich bekam schließlich die Telefonnummer eines Herrn Corden und ihn auch gleich an die Strippe. Ein tolles Gespräch. Liegt es am Alter? Jedenfalls macht es ungeheuren Spaß, über früher zu erzählen. Ich erwähnte den Lehrer, der mir immer mit einem Lineal auf die Finger schlug, wenn ich etwas falsch machte. Das war Herr Brüß, sagte Corden sofort. Der Herr war schon älter, als er aus dem Krieg minus ein paar Extremitäten zurück kam. Er schulte um als Lehrer, die damals sehr knapp waren. Aber diese Profession war ihm offensichtlich nicht auf den Leib geschnitten, er war als sehr streng bekannt. Aber zum Glück kam ich in seinen Bereich in der 4. Klasse und wechselte kurz danach ins Gymnasium. Das Gespräch mit Herrn Corden war toll, also fragte ich ihn, ob er vielleicht morgen auf einen Kaffee Zeit habe. Schade sagte er, eigentlich immer, aber morgen ist ganztägig ein Tennisturnier.

Gleich nach dem Frühstück heute fuhr ich also los. Sonne am Himmel, aber kalt, deshalb blieb das Roadster Dach zu. Zunächst ging es nach Koblenz. Aus dem Kriegstagebuch meines Vaters, mit dem ich mich in der letzten Zeit beschäftigt habe, wusste ich, dass das Haus, das Musikgeschäft und Wohnung meines Großvaters beherbergt hatte, in der Schlossstraße 9 in Koblenz lag und 1942 ausgebombt wurde. Ich war nie dort. In google earth sah ich bereits, dass dies eine Superlage ist, lebhafte Geschäftsstraße, die direkt auf das wunderschöne kurfürstliche Schloss mündet. Schade, richtig schade, dass diese Toplage unserer Familie verloren ging.

Dann ging es weiter nach Adenau. Genau diese Strecke, Koblenz – Mayen – Adenau, bin ich in meiner Kindheit oft gefahren, gab es in dem kleinen Adenau nämlich überhaupt nichts, wir mussten einmal im Monat nach Koblenz, um einzukaufen. Am meisten hat sich Ochtendung auf dieser Strecke in mir eingegraben. Wegen dem lustigen Namen und dem Beton-Steine-Werk, das an der Straße lag. Und das gibt es tatsächlich noch. Von Mayen wusste ich noch, dass es eine Burg in der Stadt gibt. Was mir aber nicht mehr klar war, wie groß dieses alte Bauwerk einschließlich Stadtmauer ist. Sehr schön. Aber ich hielt nur, um das Autodach aufzuklappen bei der schönen Sonne.

Und dann war ich in Adenau. Der erste Stopp war an dem alten Gymnasium. Das kleine Haus, das früher mal eine Tuchfabrik beherbergte, war nach dem Krieg Gymnasium bis zur 10. Klasse für etwa 150 Schüler. Später wurde ein neues Schulgebäude errichtet. Ich suchte den Schulhof, ging hinters Haus und traf einen Mann mit Kaffeebecher. Wie sich herausstellte, der Eigentümer. Ein Architekt, viel zu jung, um meine Erinnerungen zu teilen. Aber er sagte, dass hin und wieder Menschen kamen und sagten, sie seien hier zur Schule gegangen.

Weiter gings zum Blauen Eck. Dieses Adenauer Traditionshotel in einem schönen Fachwerkhaus liegt zentral am Marktplatz und es existierte wirklich auch schon zu meiner Zeit. Da hatte ich es natürlich nur ehrfürchtig von außen angeschaut. Mein Einzelzimmer ist klein und zweckmäßig, aber die Location bringts.

Zunächst lief ich alle altvertrauten Wege ab. Unglaublich viel hat sich verändert. Weg, einfach weg, ist der Bahnhof, der unheimlich wichtig war für uns Kinder, weil der Holzplatz dahinter, wo die Baumstämme lagen, die die Franzosen als Reparationsleistung abgeholzt hatten, unser Spielplatz war. Die Gleise sind verschwunden, an dieser Stelle nun ein Gewerbezentrum. Die alte Volksschule stand noch, wo uns der Lehrer Brüß auf die Finger klopfte. Und im Musikunterricht auf der Geige spielte. Dann kam ich zu der Bäckerei Lehmann. In der Auslage Nussecken. Wenn das mal keine Kindheitserinnerung ist. Wir hatten in Dümpelfeld Bekannte mit einer Bäckerei. Spezialität dort Nussecken, mit denen ich mich immer vollessen konnte, wenn ich dort war. Also hinein. So eine Enttäuschung. Absolut trocken und hart, von Nüssen kaum eine Spur. Aber dann! Zwei ältere Damen kamen. Älter heißt, nicht mehr ganz so jung wie ich. Ich fixierte sie mit Blicken, wartete auf den geeigneten Augenblick. Und dann nichts wie hin auf meine Opfer! Aber das war eine gute Beute für beide Seiten. Ich hatte eine echte Adenauerin erwischt. Mit zwei Tortenstücken auf dem Teller. Um es kurz zu machen, die Torte war eine Stunde später immer noch auf dem Teller. Aber dafür haben wir beide, plus ihre schweigsame, weil nicht eingeborene Begleiterin, liebevoll in der Vergangenheit geschwelgt und alle bekannten Namen durchgekaut. Ja, die Gunhild. Die hat doch den Sohn von Uhren Theisen geheiratet, und so. Xmal wollte ich gehen, sie ihrer Torte und dem kalten Kaffee überlassen, aber immer noch fiel uns was ein. Es war toll.

Ein Grund unter anderem, den ich hier recherchieren wollte, war der Verbleib von Detlev. Ich war etwa 12, er kaum älter. Wir lernten uns kennen, sind in den Wäldern herum gestromt. Sonst war nichts. Wir waren ja gerade 12. Eines Nachmittags waren meine Eltern nach Koblenz zum Einkaufen gefahren, ich allein zu Hause. Bat Detlev, vorbei zu kommen. In der Post, wo wir im 1. Stock wohnten. Wir haben uns nur unterhalten, waren ja Kinder, wenn auch auf der Schwelle zur Pubertät. Dann hörte ich ein Auto. Meine Eltern. Detlev konnte nicht weg, ohne gesehen zu werden. Also ging er in den 2. Stock, wartete bis meine Eltern in der Wohnung waren. Ich ging ins Bett und tat so, als schliefe ich. Kurz danach klingelte es. Die Nachbarn von oben. Klärten meine Eltern über den Jungen auf, der oben gewartet hatte. Ein Donnerwetter brach los. Detlevs Eltern wurden benachrichtigt. Jeder Kontakt verboten.

Kurz danach zogen wir um nach Mainz und ich habe Detlev nie wieder gesehen. Aber er hat einen Eintrag in meinem Poesiealbum hinterlassen, inklusive einem Selbstporträt von sich.

Ich hatte Detlev schon Jahre im Internet gesucht. Sein Name ist sehr selten. Aber keine Chance. Es gibt ihn nicht. Also wollte ich in Adenau nachforschen. Jeder erinnert sich an seinen Vater, den Zahnarzt Dr. Moussie. Auch an den Sohn. Aber was er heute macht weiß niemand.

Auch die älteren Damen erinnerten sich sehr gut an ihn. Ein Tunichtgut. Hatte er nicht ein Baby mit einem Mädchen aus dem Nachbardorf? Durfte es aber nicht heiraten, weil nicht standesgemäß. Dann hat er Adenau verlassen und keiner weiß etwas.

Es war einfach toll im Café, aber irgendwann riss ich mich los und ging zurück ins Hotel. Zum Blauen Eck gehört ein sehr gutes Restaurant, aber ziemlich teuer. Die Damen hatten mir zum Italiener Aviano gleich gegenüber geraten. Also nichts wie hin. Bekam einen kleinen Einzeltisch. Daneben eine große Herrenrunde. Ältere Semester. Trainingsanzüge. Tennistaschen.

Ich stand auf, fragte, ob es einen Herrn Corden gäbe. Natürlich. Wir setzten uns kurz zusammen. Er sagte, dass er auch ein wenig recherchiert habe. Detlev hatte zusammen mit 2 weiteren Jungs zu den Tunichtguten von Adenau gehört. Aber keiner weiß Bescheid über seinen Verbleib.

Ich setze mich zurück an meinen Einzeltisch und bestelle. Definitiv ein guter Tipp der alten Damen. Es ist wohl das Inlokal der Einheimischen. Die Ortselite trifft sich hier, das Essen ist super und preisgünstig. Ich stelle die erst Montag begonnene Diät auf „weiteres“ und bestelle Vorspeise und Pizza. Ein Gedicht. Hätte ich nicht in Adenau bleiben sollen?

Nein, wohl eher nicht. Die Alteingeborenen sind tatsächlich fast alle weggegangen, neue sind nachgekommen. Adenau hat sich verändert. Bahnhof und Gleise sind verschwunden, Aldi und Lidl haben Einzug gehalten. Und die Stadt Adenau hat damals wie heute knapp 3000 Einwohner.