Biker

Selbst in Florida habe ich manchmal ziemlich depressive Stimmungen. Als Single fehlt mir einfach oft jemand zum Quatschen. Aber ich weiß, wenn ich nur auf meiner Couch sitzen bleibe hilft mir das absolut nicht. Raus muss man. Das ist nicht nur schön, um etwas zu sehen und sich zu bewegen, oft trifft man auch nette Leute.

Diese Woche bin ich mit dem Zug nach Orlando gefahren, um einen Biketrail auszuprobieren. Auf dem Rückweg habe ich dann in Winter Park Station gemacht. Wer das nicht kennt, dieser Ort ist absolut einen Stopp wert. Völlig unamerikanisch. Ein nettes Zentrum zum Bummeln, schöne Boutiquen und tolle Restaurants. Viele Leute sind zu Fuß unterwegs, lassen ihr Auto stehen. Und absolut Upper Class.

So schob ich also mein Bike durch die netten Gassen, kam an einem Straßencafe vorbei. Dort saß ein Biker, ganz klar zu erkennen an seinem eindeutigen T-Shirt. Wir lächelten uns an. Ich stoppte. Er forderte mich auf, doch auf einen Kaffee zu bleiben. Ich tats. Es folgte eine wahnsinnig tolle Unterhaltung von gut einer Stunde, in deren Verlauf er sogar mein Buch kaufte, das ich natürlich dabei hatte. Die Unterhaltung war wirklich interessant, es gab so viele Gemeinsamkeiten, aber als ich erwähnte, dass wir am kommenden Sonntag ein großes Bike-Event haben, wo man noch mitmachen kann, fragte er nach der Uhrzeit. Er hatte durchaus Interesse, aber als ich sagte, Sonntag Morgen, meinte er sofort, nein, das geht nicht, er muss in die Kirche, sei Republikaner und sehr konservativ. Mhm, so kann man sich in Menschen täuschen, bis dahin wirkte er tolerant und offen. Aber egal, es war schön, mit ihm zu reden.

Ähnlich ging es mir vor zwei Tagen. Ich saß im Jacuzzi des Sport Studios und kam mit zwei Männern ins Gespräch. Beide Biker. Also, um es klar zu sagen, Fahrradfahrer, nicht Motorrad. Was ja im englischen nicht immer klar zu erkennen ist. Auch hier wieder nette Unterhaltung. Einer gab sich als Nachbar des örtlichen Bike Shop Inhabers zu erkennen. Ich meinte nur, dann sollte er in den Laden gehen, dort würde er mein Buch auf der Theke finden. Und auch hier sprach ich die Einladung zum Bike Event für diesen Sonntag aus und bekam die gleiche Antwort. Nein, muss zur Kirche.

Das ist schon ein Unterschied zwischen der Gesellschaft hier und der in Deutschland. Es waren ja die extrem gläubigen Christen, die ihr Heimatland vor gut 200 Jahren verlassen haben, nach Amerika auswanderten, um ihren Glauben freier ausüben zu können. Das hat sich bis heute erhalten. Während in Deutschland kaum noch einer zur Kirche geht.

Heute nun ein unglaublich schöner Tag, 29 Grad waren vorausgesagt und ich entschied, Beach is the place to be. Natürlich mit Fahrrad von Zuhause, was immer den endlos langen Anstieg zur Brücke beinhaltet. Immerhin ernannte mich Strava daraufhin zur Local Legend, weil ich den Anstieg so oft geschafft habe. Am Strand war High Tide, was bedeutet, dass das Wasser sehr hoch kommt und es keinen wirklich harten Sand zum Radfahren gibt. Also schob ich und schob auch dann noch, als es längst wieder möglich war. Es machte mir einfach Spaß, meine Beine zu bewegen. Da kam mir wieder ein Radler entgegen. Er hielt extra an und fragte, warum ich schiebe.

Hier ein kleiner Einschub. In Deutschland gibt es so oft die Rassismus Debatte, bei der man nicht fragen darf, woher jemand kommt. Das ärgert mich zutiefst. Ich finde es gerade sehr wichtig, zu wissen, woher jemand kommt, wo seine Wurzeln sind. Nehmen wir mal das Beispiel: Comedian Abdelkarim hat seine Wurzeln in Marokko. Beschwert sich in jeder seiner Shows darüber, dass ihn jemand fragt, woher er kommt und betont, dass er Deutscher ist. Das will ich ihm nicht nehmen, aber ich finde, dass gerade die marokkanischen Wurzeln ihn interessant machen. Zumindest für mich. Ich frage immer Menschen, die offensichtlich nicht deutsche Wurzeln haben, woher sie bzw. ihre Eltern kommen und leite daraus sehr interessante Gespräche ab. Im persönlichen Gespräch hat sich darüber auch noch nie jemand beschwert.

Und man darf ja nicht vergessen, dass wir alle Ausländer sind. Irgendwo. Ich spreche ganz gut Englisch, aber ich habe natürlich einen Akzent. Einen Deutschen. Und ich werde ständig darauf angesprochen. Und bin stolz darauf. Und möchte deshalb allen Menschen zurufen, seid stolz auf eure Wurzeln und verleugnet sie nicht. Sie machen eure Persönlichkeit aus.

Zurück also an den Strand. Wir kamen ins Gespräch. Und ich wurde gefragt, woher ich komme. Ich fragte, generell oder gerade jetzt. Generell. Also gut, aus Deutschland. Er überschwänglich: ich auch. Ich sagte auf Deutsch, aber sie sind doch kein Deutscher. Nein, war er nicht, sondern Pole. Seit 50 Jahren in USA lebend. War für ihn aber alles gleich, wir sind schließlich Nachbarn. Auch hier wieder eine richtig nette Unterhaltung, bis wir auf den Krieg in der Ukraine zu sprechen kamen. Ich äußerte meine Ängste für Deutschland. Seiner Meinung nach besteht dazu überhaupt kein Grund. Ursache des Übels ist allein die Ukraine, sie müssen aufgeben, sich den Russen ergeben, und dann ist das Problem aus der Welt.

Ich verabschiedete mich recht schnell und radelte weiter. Wollte zur Ponce Preserve, da dort heute ein Naturkundetag ist, wo sich bestimmte Institutionen vorstellen. Und auch dort war es wieder nett, Bekannte zu treffen. Lisa von DeBary Hall, wo ich schon zwei Vorträge gehalten habe. Wir machten gleich aus, dass es im Herbst wieder etwas mit mir geben wird.

Ich fuhr zurück zum Strand und traf dort im Pavillon zwei Biker. Einer mit einem normalen eBike, pedal assistet, aber der andere mit einem „Motorrad“. Also fette Räder und E-Motor, für den man nicht in die Pedale treten muss. Natürlich machte ich auch hier meinen Mund auf, aber immer freundlich. Und auch hier blieb ich wieder fast eine Stunde stehen. Super nette Unterhaltung. Erfuhr von den Beiden auch, dass bald in Port Orange ein neuer Aldi aufmacht, wichtige Information für mich. Nach ausgiebiger Hetze über Throttle-eBikes, aber diesmal nicht über Politik fuhr ich glücklich und zufrieden weiter. Solche Tage brauche ich. Hatte diesmal kein Buch bei mir, aber auch dieser nette Fahrradfahrer wohnte genau neben dem Inhaber des Bike Shops von Port Orange und ich empfahl ihm, mal dort auf der Theke nachzuschauen.