Das Marokko, in das ich mich vor 31 Jahren verliebt habe, war ein recht armes Land. Ein großer Teil der Bevölkerung lebte auf dem Land ohne Zugang zu sauberem, fließenden Wasser, ohne Strom und ohne Verkehrsanbindung. Aber die Menschen waren lieb und freundlich, zeigten eine große Gastfreundschaft und gaben von ihrem einfachen Leben ab, was sie konnten. Das politische Leben war nicht sehr aktiv, keiner traute sich, offen seine Meinung zu sagen, wenn man versuchte, in dieser Richtung Fragen zu stellen, drehten sich die Leute weg und sagten, die Wände haben Ohren. Natürlich gab es auch damals reichere, gebildetere Kreise, aber dazu fand ich keinen Zugang.
Viel ist in den vergangenen drei Jahrzehnten geschehen. Noch unter Hassan II gab es das Gesetz zur Anbindung der örtlichen Regionen an Verkehr, Wasser und Strom, da er aber bald danach starb, wird der Erfolg vor allem seinem Sohn König Mohammed VI zugeschrieben. M VI wie er liebevoll von seinem Volk genannt wird, ist ein ganz anderer König. Nun traut man sich, von Politik zu sprechen. Geht auch zum Demonstrieren auf die Straße, wenn man meint, es gehe irgendwo ungerecht zu. Keine Angst mehr vor den Wänden. Auch wirtschaftlich geht es aufwärts. Natürlich sind die städtischen Regionen davon begünstigt, auf dem Land haben es junge Menschen immer noch schwer. Aber es gibt inzwischen eine Mittelschicht. Gestern Abend war so ein schönes Beispiel dafür. Mein Freund Abdou, Inhaber einer Reiseagentur, der die Woche auf der Touristikmesse in Berlin verbracht hat, holte mich überraschend vom Hotel ab und wir gingen in die Neustadt Hivernage. Das Spektakel, das dort abends abgeht, ist einfach unglaublich. Die neue Morocco Mall mit schicken Restaurants ist abends DER Treffpunkt, auf einem großen Platz zeigt ein Springbrunnen eine Lasershow, dicht umrundet von faszinierten Zuschauern. Daneben das neue 5-Sterne-Hotel Savoy Le Grand mit der schicken Buddha-Bar. Da diese noch zu war gingen wir erst ins Savoy zu einem Aperitif an der romantisch beleuchteten Poolbar. Abdou muss sich dazu immer eine Wasserpfeife bringen lassen.
Und schon kam die zweite Überraschung des Abends, Moulay Slimane. Abdou hatte ihn angerufen und mir nichts davon gesagt. Ich kenne Slimane und seine Familie schon von meiner ersten Reise vor 31 Jahren und es ist einfach schön, Freunde über so lange Zeit zu kennen. Während Abdou aus eher einfachen Verhältnissen kommt, sein Vater war Sanitäter beim Militär, war der Vater von Slimane ein Gouverneur. Seinen zahlreichen Kindern hat er nicht Geld mit auf den Weg gegeben, sondern Beziehungen. Beide Männer haben es zu etwas gebracht, zu einem Vermögen, von dem ich Deutsche nur träumen kann. Sie sind gute Beispiele für den Aufbruch in diesem Land.
Wir gingen dann zur Buddha-Bar. Unglaublich schön eingerichtet mit den vielen Lichtern und dem fetten Buddha, der mitten im Raum sitzt. Die Speisekarte ist mehr als gehoben, das australische Steak, das Abdou bestellte, kostete 59 Euro. Und diese Bar ist so wie die meisten schicken Lokale in Marrakech absolut nicht für normale Touristen gedacht. Hierher kommt die marokkanische Oberschicht, am Wochenende ist es knallvoll mit jungen Leuten aus Casablanca, und natürlich auch die Oberschicht der Reisenden, die nicht in einem Riad zu 100 Euro wohnen, sondern in einer Suite im 5-Sterne-Hotel oder sogar in einer privaten Villa in einem solchen Hotel. So wie das Traditionshotel Es Saadi, das ich heute besichtigt habe. Und es gibt doch eine Menge solcher wohlhabenden Menschen, die Restaurants in Marrakech brummen. Der Service war grandios, nicht nur breitete man mir meine Serviette auf dem Schoß aus, man brachte sogar einen Hocker für meine Handtasche. Das ist mir echt noch nicht passiert. Um 22 Uhr folgte dann eine Tanzshow, es war einfach ein unglaublich schöner Abend.
Das ist natürlich nicht das ganze Marokko. Es gibt viele Schichten davon. Es gibt eine ordentliche, arbeitende Mittelschicht, die sich nicht die Zeit in solchen Vergnügungstempeln vertreiben, sondern sich um ihre Familien kümmern und darum, dass die Kinder eine ordentliche Zukunft bekommen. Und es gibt das ländliche Marokko, wo eine Familie meist auf mehreren Säulen stehen muss, um zu überleben. Ein bisschen Landwirtschaft, einer der Söhne vielleicht beim Militär oder Polizei, einer arbeitet im Tourismus, so kommt man irgendwie durch.
Und dann gibt es natürlich die Looser. Die, die sich nicht anstrengen wollen, die nicht arbeiten wollen, da es oft schwer ist und schlecht bezahlt. Die auf das schnelle, einfache Geld warten. Solche Menschen gibt es übrigens überall auf der Welt, auch bei uns. Sie werden bei uns aber durch das soziale Netz aufgefangen. Diese jungen Marokkaner versuchen, nach Europa zu gehen, weil sie sich dort den Himmel auf Erden erwarten, sind die berühmten Silvester-Marokkaner, die die Mädchen angrapschen. Ich will das nicht entschuldigen, das ist nicht in Ordnung, hat dem Ruf des Landes sehr geschadet, aber es ist nicht Marokko. Die Menschen hier verurteilen diese Handlungen ebenso.