Pisten, Schafe und Fahrradfahrer

Kaum habe ich Marrakech verlassen beginnt schon wieder das Abenteuer. Zunächst sah es nicht so aus, denn ich musste den ganzen, uninteressanten Weg nach Azilal zurückfahren, den ich ja erst vor ein paar Tagen gekommen war. Und das alles nur, um eine kleine, 50 km lange Straße zu testen, die neu asphaltiert worden war. Der Ausgangspunkt dafür war das Städtchen Taguelft, wo gerade der Wochenmarkt stattfand. Prima, so bekam ich noch etwas Obst als Mittagessen.

Aber dann – unglaublich schöne Landschaft. Und absolut keine Touristen. Diese Straße, die letztlich nach Imilchil führt, ist noch nicht bekannt. Die steinigen Bergwiesen, saftig grün jetzt im Frühling, schmeicheln dem Auge, die Schafe dazwischen fallen farblich kaum auf. Sie können sich mal so richtig satt fressen. Auch ich mache ein Päuschen und esse meine zuckersüßen Beldi-Aprikosen, in der Ferne ist ein Hund eifrig dabei, seine Schafe über die Straße zu treiben, die beiden jungen Hirten schauen, kommen aber nicht näher. So eine Rücksicht muss belohnt werden und ich bringe ihnen meine restlichen Bonbons.

Dann komme ich an eine Kreuzung. Meine zu entdeckende Straße würde links abbiegen. Geradeaus dagegen geht es nach Anergui, genau der Ort, zu dem ich neulich schon mal fahren wollte, es wegen schlechtem Wetter aber aufgegeben habe. Ein kurzer Anruft bei Hamou, bist du da? Hamou betreibt eine kleine, einfache Gite in Anergui, die einzige Unterkunft in der ganzen Region. Ich rufe auf seinem Festnetz an und bin erstaunt Hamou zu erreichen, obwohl er nicht zu Hause ist. Er ist auf dem Markt in Taguelft. Aber er fährt mit seinem Festnetzapparat herum und ist im ganzen Vorwahlbereich zu erreichen. Ich bin platt. So etwas habe ich noch nie gehört. Aber Hauptsache, wir können sprechen.

Da Hamou am Abend wieder zurück sein will beschließe ich, nach Anergui zu fahren. Doch da ruft gerade mein Sohn an (Muttertag!) und fragt: wo bist du denn? Ich sage: mitten in der Landschaft. Er ist erstaunt, bis ich ihm ein Foto schicke. Ja, sagte er, du hast recht, das ist wirklich mitten in der Landschaft.

Kaum in der Gite angekommen trifft ein junges Paar aus Spanien ein, sie sind mit Fahrrädern unterwegs. Das ist schon eine Leistung in diesen bis zu 3000 m hohen Bergen. Fran ist topfit, Maria dagegen ziemlich kaputt. Als sie hören, dass ich am nächsten Tag 50 km von ihrer beabsichtigten Strecke fahren werde, fragt Maria gleich, ob sie mitkommen kann. Also zerlegen wir noch am Nachmittag ihr Fahrrad und bekommen es auf die Rückbank, hinten passt es wegen dem Gepäckschutzgitter nicht rein.

Anergui ist ein sehr kleines, unscheinbares Dorf am Assif Melloul, einem wilden Gebirgsbach. Es besteht zwar nur aus wenigen Häusern, ist aber das Verwaltungszentrum der Region und erwacht erst so richtig zum Leben am Donnerstag, wenn zum Wochenmarkt die Bewohner aus den umliegenden Dörfern kommen, die meisten immer noch mit ihrem Maultier, obwohl es nun einige neue Straßen gibt. Dieser Markt ist etwas ganz Besonderes, da er bis in die Nacht geht und am Abend die Stände von Lampen erhellt werden, sehr romantisch. Anergui ist ein idealer Ausgangspunkt für Trekkingtouren, aber noch recht wenig bekannt, es kommen aber oft Fahrradfahrer und Enduros. Und bei Hamou ist eben die einzige Unterkunft. So kommen an diesem Abend auch noch drei weitere spanische Mopedfahrer. Und auch Hamou trifft schließlich ein und ist wie immer für mich ein Quell der Information. Er kann mir genaue Auskunft über alle Straßen im Umkreis geben und möchte am liebsten, dass ich länger bleibe. Aber ich habe die Rückfahrt nun schon fest geplant und die Hotels bestellt. Nach einem ausgiebigen Tajine ziehe ich mich zurück in mein einfaches Zimmer, das einzige mit einem richtigen Bett. Die anderen haben nur Matten. Aber Hamou kennt mich noch gut von meinem letzten Besuch vor acht Jahren, wo er mich unterwegs abholen musste und mein Auto durch einen reißenden Strom fahren musste, den ich mir allein nicht zutraute.