Ukraine

21.5.1940

Heute gebe ich für eine unbestimmte Zeit das Zivilleben auf. Um 8.30 fährt mein Zug von Kirn ab, der mich in eine ungewisse Zukunft trägt. Wird es mir vergönnt sein, genau so froh und glücklich nach Beendigung des Krieges nach Hause zurückzukehren? Berta und Sigrid brachten mich an die Bahn. Der Abschied fiel mir verhältnismäßig leicht, da ich immer noch eine gewisse Zeit vor mir habe ehe ich an die Front komme. Aus allen Gegenden kommen junge Leute mit Koffern. Man sieht es ihnen von weitem an, dass sie zu den Soldaten müssen. Alle sind guten Mutes.

4.6.1940

Heute ist der wichtigste Tag im Leben der Soldaten. Es ist Vereidigung. In feierlicher Form wurden sämtliche Kompanien im Hofe des Kornmarktes vereidigt. Bei dem Nachsprechen der Eidesformel befiel mich ein eigenartiges Gefühl. Jetzt bin ich Soldat mit Leib und Seele. Es gilt der Satz; wer auf die preußische Fahne schwört, hat nichts mehr, was ihm selber gehört. Wenn die Frage an mich herantritt, soll ich mein Leben einsetzen oder nicht, werde ich mit allen Konsequenzen meine Pflicht tun.

20.1.1943

Um 6 Uhr sollte es losgehen, doch mussten wir noch auf die Kolonne des Ic warten. Um 7 Uhr kam sie endlich. An sie hängten wir uns an, da die Strecke schon von den Russen bedroht war. In flotter Fahrt ging es los. Unendlich viele Kolonnen überholten wir, die alle auf dem Rückzug waren. Trotzdem ging es schnell bis Bataisk. Dort begannen die ersten Stauungen. Um 10 Uhr waren wir in Bataisk. Zu der gleichen Zeit waren 10 russische Panzerspähwagen bis zum Flugplatz durchgebrochen. Stuckas warfen 5 davon in Brand. Die Stuckas sahen wir wohl, wussten aber nicht, was los war. Erst in Mariupol erfuhren wir es. Von Bataisk bis Rostow ging es in einer langen Kolonne. Der erste Halt war vor der Don-Brücke. Aber dann ging das Theater los. Nur schrittweise kamen wir vorwärts.

Die Stadt überfüllt von Kolonnen und Rumänen auf der Flucht. Mühsam musste jeder Meter erkämpft werden. Eine geschlagene Armee auf der Flucht. Die wenigsten hatten noch Waffen. Nur mit dem, was sie auf den Leibern hatten, waren sie geflohen. Die Rumänen waren in der Kalmückensteppe eingesetzt. Sie sollten bei der Entlastungsoffensive für Stalingrad den zu erwartenden russischen Stoß auffangen. Die Russen kamen aber mit 40 Divisionen und unzähligen Panzern. Die Rumänen hatten wenig Panzerabwehr. Da war es mit Widerstand vorbei. In panikartiger Flucht gingen die Truppen zurück. Noch 200 km hinter der Front warfen sie ihre Gewehre fort. Große Teile der Kampftruppen mit Waffen und Gerät gerieten in Gefangenschaft. Zu essen haben sie nichts. Seit 4 Wochen keine richtige Verpflegung, kaum Brot. In allen Dörfern betteln sie. Sie sind zu bedauern. An Wehrsold bekommen sie im ganzen Monat 1 RM. Ein Volksdeutscher, den wir bis Mariupol mitnahmen, erzählte uns, dass die ganze rumänische Armee nach Hause geschickt wurde. Rechts und links der Straße lagen zahllose tote Pferde. Eine Armee auf dem Rückmarsch.

Dieser Text stammt aus dem Kriegstagebuch meines Vaters. Fast 80 Jahre ist es her, dass er dies schrieb. Und irgendwie wieder schrecklich aktuell. Bitte, bitte beendet den Krieg und lasst es nicht so weit kommen, dass auch unsere Männer wieder in den Krieg ziehen.

Kriegstagebuch