Familiengeschichte Schröder – Teil 3

Kriegstagebücher

Was mein Vater in dieser Zeit erlebte kann aus seinen Kriegstagebüchern entnommen werden, die mir vorliegen. Sie sind im ersten Teil in Sütterlin geschrieben und die Entzifferung war ziemlich schwer. Das erste geht vom 21.05.1940 bis zum 19.07.1941. Als Anschrift gibt er dort wie auch später Kirn, Bergerweg 37, an. Die Bücher gehen bis zum 14.02.1945 und sind alle als unbedenklich von der Wehrmacht abgestempelt. Auf der ersten Seite steht:

Dieses Tagebuch soll mir für spätere Zeiten als Erinnerung und Andenken dienen an meine Militär- und Kriegszeit. Sollte ich den Krieg nicht überleben, so soll es für meine Familie ein Andenken an mich sein.

1940 musste die Deutsche Reichspost Personal zu OKW/WNV/Fu III abstellen (OKW = Oberkommando der Wehrmacht), die Mitarbeiter kamen hauptsächlich zum Funkdienst/Abwehr. Nach der Einberufung am 21.5.1940 ging Erich Schröder zunächst nach Posen im heutigen Polen, wo er eine Ausbildung zum Funker machte. Er kam zur Abwehr und hatte zu Anfang die beste Zeit seines Lebens, als er in Bordeaux und dann in San Sebastian in Spanien beschäftigt war, einem Land, das nicht am Krieg beteiligt war. Dort lernte er Spanisch, konnte in seiner Freizeit tanzen gehen und kaufte Unmengen von Waren für die Familie ein, da es in Spanien sehr preiswert war. Später war er im Osten eingesetzt, in der Krim und der Ukraine. Durch seine Tätigkeit als Funker immer hinter der Front. In dieser Zeit entwickelte sich wohl seine Vorliebe fürs Reisen. Er langweilte sich schnell, wenn er längere Zeit fest auf einer sicheren Dienststelle war, er wollte immer fort. Die Reisen waren sehr abenteuerlich, oft mit der Bahn, was nicht einfach war, aber auch mit LKWs, die im Schlamm stecken blieben. Das schrieb er sorgsam auf, auch die Orte, durch die er fuhr. Aber im Tagebuch schrieb er hauptsächlich von der Freizeit, denn die dienstliche Arbeit war geheim. Er ging während seiner Kriegszeit mehr ins Kino, Theater und Café, als ich je in meinem Leben. Verglichen mit anderen Soldaten hatte er eine richtig gute Zeit, während meine Mutter zu Hause unter dem Bomben­hagel litt und andere Soldaten ihr Leben lassen mussten.

Einige Einträge im Buch sind denkwürdig:

4.6.1940 Bei dem Nachsprechen der Eidesformel befiel mich ein eigenartiges Gefühl. Jetzt bin ich Soldat mit Leib und Seele. Es gilt der Satz; wer auf die preußische Fahne schwört, hat nichts mehr, was ihm selber gehört. Wenn die Frage an mich herantritt, soll ich mein Leben einsetzen oder nicht werde ich mit allen Konsequenzen meine Pflicht tun.
7.7.1940 Seit dem Waffenstillstand mit Frankreich hat unsere Ausbildung sehr nachgelassen. Seitdem das Gerücht aufgetaucht ist, dass einzelne Jahrgänge entlassen werden sollen, ist nichts mehr los. Unser Fronteinsatz ist wahrscheinlich auch vorbei. Schade, gegen England wären wir alle gern dabei gewesen.
26.8.1942 Berti hatte 2 Rollen Drops geschickt. Damit hat sie mir große Freude gemacht. Diese Sachen entbehre ich hier sehr.
15.9.1942 Leider war unser Zimmer vollständig verwanzt und verlaust. Dadurch konnte ich die ganze Nacht kein Auge zutun. Bei Taschenlampenbeleuchtung ging ich auf die Jagd.
14.10.1942 Auf dieser Fahrt hatten wir reichlich Gelegenheit festzustellen, dass die Rede Göhrings von der Besserung auf Wahrheit beruhte. Von Rostow an war die Bahnstrecke zweigleisig ausgebaut. Fast alle Brücken waren schon durch eiserne Brücken ersetzt oder waren im Bau. Alle Bahnhöfe neu aufgebaut. Auf allen Bahnhöfen waren riesige Kohlenlager aufgestapelt für den Winter. Überall sieht man wieder rauchende Schornsteine von Fabriken. Teilweise wurden sogar neue Fabriken gebaut, die Felder sind zum großen Teil schon bestellt. Ja es ist Wahrheit. Die schlimme Zeit ist hinter uns. Jetzt noch den Kampf im Osten beenden, dann kann kommen, was will, es kann uns nichts mehr geschehen.
20.7.1944 Heute kam die aufsehenerregende Nachricht von dem Attentat auf den Führer. Glücklicherweise ist ihm nichts geschehen.
27.11.1944 Hoffentlich werden bald die neuen Abwehrwaffen eingesetzt, damit die Heimat mal zur Ruhe kommt.

Über das Ende des Krieges schreibt mein Vater: Werde während eines Urlaubs in Kirn von dem Vormarsch der Amerikaner überrascht. Schlage mich durch ganz Deutschland bis nach Kunzendorf zur Truppe zurück. Komme dort am 20.4.45 an. Am gleichen Tag mit Oblt. Bachmann und Hans Esche Abfahrt über Kommando in Planian und Prag nach Schwarzenberg im Erzgebirge, um neues Einsatzgerät abzuholen. Können dort nicht mehr vor- noch rückwärts, da hinter uns in der Tschechei Aufstand. Vor uns Amerikaner. Am Führergeburtstag hatte Ltn Spode aus eigenem Entschluss noch schnell die alten Leute zu Unteroffizieren befördert, auch mich. In Schwarzenberg erklärt Bachmann, dass es zu Ende sei, er könne nichts mehr machen und entlässt uns. Ich gehe nach Aue, melde mich am 5.5.45 bei Postamt zum Dienst und bleibe dort bis zur russischen Besetzung am 10.6.45. Dann zu Fuß zurück nach Wetzlar. Dort bleibe ich bei Bauern.

Erzählungen zufolge kam er unbeschadet zurück nach Boppard. Allerdings hatte er auch nicht die nötigen Entlassungspapiere, die er sich zunächst mit etwas Mühe bei den französischen Besetzern besorgen musste.

Total überwältigt war ich von der Erkenntnis wie ähnlich mein Vater und ich uns sind. Ich reise durch die nordafrikanischen Länder, früher sehr abenteuerlich, heute etwas komfortabler, und ich habe es schon immer geliebt, darüber zu schreiben. Zunächst ins Tagebuch nur für mich; Internetblogs, die alles öffentlich machen, gab es damals noch nicht. Dann als Länderberichte für den Saharaclub. Und dann sehr bald in der Form von Reiseführern. Und nun muss ich erkennen, dass mein Vater genau das gleiche gemacht hat. Er reiste und schrieb darüber. Wenn er mal längere Zeit in relativer Sicherheit in einem Büro in Berlin, Warschau, Wien oder Krakau Dienst tat, dann langweilte er sich und meldete sich auf einen Einsatzort in der Ferne. Die Reise war sein Abenteuer und wenn es noch so schwierig war. Wie sehr kann ich mich doch mit ihm identifizieren. Er nennt die Orte auf seiner Strecke mit Namen. Viele der besuchten Länder gehörten damals zum deutschen Reich und die Orte hatten deutsche Namen, die heute ganz anders lauten.

Eine der Fahrten zum Einsatzort

Das Kriegtagebuch ist erschienen in gedruckter Form und kann hier bestellt werden:

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