Rage

Zurückblickend war es gestern ein Apriltag, sehr wechselhaftes Stimmungswetter. So richtig gut fing es schon nicht an. War mit der üblichen Gruppe für den Sonntagmorgen-Hike verabredet, hatte auch selbst ein Ziel vorgeschlagen, aber auf meine Messages zwischendurch kam keine Antwort. Erst heute um 10: wir sind da! Nun, ich war noch zu Hause und blieb es. Um in der Gruppe etwas zu machen braucht es Kommunikation.

Aber ich fahre sowieso lieber Rad. Begab mich auf den am nächsten gelegenen Trail, denn ich muss Benzin sparen. Hier wird nun kein Klopapier mehr gehamstert, sondern Benzin. Hacker haben eine US-Pipeline angegriffen und obwohl Florida durch Schiffe mit Treibstoff versorgt wird und nicht durch diese Pipeline gab es einen Run auf die Tankstellen. Ich blieb vorerst ruhig, aber dann brauchte ich doch Nachschub. Die ersten drei Tankstellen waren leer, aber an der vierten bekam ich dann ganze 8 Gallonen, aber immerhin so viel, dass der Tank fast voll ist.

Ich fahre super gerne Rad, habe mich nun auch wieder daran gewöhnt, hier kein eBike zu haben, auf den flachen Trails geht es ja auch ohne, nur die Brücken bilden eine Herausforderung. Ich fuhr 40 km und war recht glücklich, sparte mir meine Stärkungsbanane für die Halbzeit auf, traf einen Graureiher, einen Bussard und drei große Landschildkröten und war nach 40 km auch noch recht fit. Doch wer mich hier erzürnte war mein Fitnesstracker. Ich habe ja tägliche Ziele, ich weiß, kein Mensch versteht mich, aber mir sind sie wichtig. Dazu gehören täglich mindestens 10.000 Schritte, 30 aktive Minuten und in jeder Stunde muss ich mindestens 250 Schritte zurücklegen.

Und Radfahren, ohne die bergigen Taunusswege, erkennt der Tracker nicht wirklich als Tätigkeit an. Kaum Schritte wurden mir gut geschrieben und es blieb tatsächlich eine Stunde, wo ich die nötigen 250 Schritte nicht zusammenbekam. RRRR, mal wieder sauer. (Ich weiß, ich habe Luxusprobleme.)

Zuhause dann in Facebook geschaut und einen Kommentar gefunden, den ich auf meine gestrige wunderschöne Radfahrt durch New Smyrna Beach bekommen habe, immerhin der schönste Ort der ganzen Region. „ach es gefällt mir doch nicht so .Daham is daham

Das hat mich erst so richtig in Rage gebracht. Keiner versteht mich, zumindest nicht zuhause in Taunusstein. Und das Wörtchen daham bringt es insofern auf den Punkt, als ich mich eben hier zuhause fühle und nicht in Taunusstein, ein Ort, den ich inzwischen schon fast hasse. Ja, er bietet nicht viel, hauptsächlich Wald, aber der Hass kommt eher durch die Menschen. Sie sind einfach nur furchtbar, eng an den Ort gebunden, nicht weltoffen, nicht liberal. Ich liebe nun mal die Freiheit in Florida, die Offenheit, die Lockerheit. Auch hier ist nicht alles perfekt, aber hier passe ich einfach besser hin. Aber in der Welt, in der wir leben, kann man nicht einfach grenzüberschreitend seine Heimat frei wählen. Deshalb war ich eigentlich auch recht zufrieden, im Jahr 5 Monate hier zu sein.

Bis Corona kam, aber die alte Leier kennt ihr ja schon.

Aber gerade in der Coronazeit haben die Amis, ich spreche natürlich nur über Florida, eben doch das Richtige getan, obwohl sie vorher ziemlich deswegen kritisiert wurden. Gouverneur DeSantis ist ein Republikaner stramm an der Seite von Trump, ich könnte mir sogar vorstellen, er zielt selbst auf das Präsidentenamt, und er ist für Freiheit und Lockerung. Und hat Erfolg damit. Die Polizei geht hier ihren eigentlichen Aufgaben nach, der Bekämpfung der Kriminalität, wobei sie zugegebenmaßen auch genug zu tun hat. Und nicht wie in Deutschland schaut, ob auch alle ihre Masken aufhaben, Strafen verhängt oder gar, OMG, sich in der Wohnung mit mehreren treffen.

Hier wird auf Eigenverantwortung gesetzt und nicht auf die Polizei. Auch deshalb fühle ich mich hier so viel wohler. Ich bin sehr freiheitsliebend. Erst wenn man aus Deutschland raus ist, von außen herein schaut, merkt man, wie übel die Stimmung dort ist. Da wird genau geschaut, was der Nachbar macht, da wird von der Regierung Druck aufgebaut, von der Regierung, die selbst nichts zustande bringt, da werde die Menschen zum Blockwart gemacht, und die sind absolut davon überzeugt, dass sie das richtige tun. Wir haben doch eine Pandemie!

Ja, aber damit kann man unterschiedlich umgehen. Und hier klappt es ganz gut. Die Impfquote ist hoch, schon fast 40 % der Menschen haben den vollen Impfschutz und deswegen wird jetzt die Maskenpflicht für voll Geimpfte aufgehoben. Eine Reporterin fragte: Wie wird denn kontrolliert, dass wirklich nur die Geimpften ohne Masken laufen? Antwort: Es wird nicht geprüft, wir dürfen nicht nach dem Impfausweis fragen, wir vertrauen auf die Selbstverantwortung. Ach ja, wie mein Held, der Herr Lindner.

Ja, das ist mein Land, hier würde ich gerne bleiben, doch leider muss ich bald zurück. All dies, vor allem auch die fehlende körperliche Leistung auf meinem Tracker, haben mich in eine furchtbare Wut gebracht. Ich rannte wie ein Hamster im Kreis, aber bevor ich zum Sportstudio fuhr, um mich auszutoben, fuhr ich kurz bei meinen Freunden vorbei. Auch Deutsche, und sie waren coronabedingt schon eineinhalb Jahre nicht mehr in Florida, sie sind meinem Beispiel gefolgt und haben nun natürlich alle Hände voll zu tun am Haus. Ich erwischte sie beim Lunch, kleines Schwätzchen, dann hieß es, ich muss nun die Hecke schneiden. Ich schnell heim gefahren, meine Heckenschere geholt und dann rückten wir zu zweit der richtig hohen, wilden Hecke zu Leibe. Es war viel Arbeit, aber genau das Rezept, meinen ganzen Ärger zu heilen. Bewegung, gepaart mit Reden. Das brauche ich.

Überhaupt, hier habe ich ja auch mein Häuschen und jede Menge Arbeit, die für nun schon getan ist. Aber genau das ist es auch, was mir in Deutschland fehlt. Da gibt es nichts zu werkeln. Da starten weder Kakerlaken noch Ameisen einen Angriff aufs Haus, muss ich mich nicht um leckende Dächer kümmern, nicht dem Unkraut zuleibe rücken.

Aber auch nicht am Abend geruhsam auf meiner Terrasse einen Cocktail schlürfen und den vielen Vögeln zusehen, die zu mir kommen. Habe gerade gestern wieder einen neuen gefunden, der noch nicht in meiner großen Sammlung war. Und wenn ich zurück in Deutschland bin werde ich als erstes ein Buch mit Fotos der vielen Vögel drucken, dazu ihren Namen in Deutsch, englisch und Latein. Das ich auf meinen Spaziergängen mitnehmen kann. Denn in meinem alten Kopf bleiben die vielen Namen nicht mehr hängen.