Der Tiger im Käfig

Ich halte es nicht mehr aus. Ich kann so nicht leben. Das Leben besteht nur noch aus existieren. Warten bis zum Mittagessen, warten auf den Abend, dass man ins Bett gehen kann. Aufstehen und der gleiche Trott fängt an. Natürlich gehe ich raus, durchlaufe wie eine Wilde die Wälder um Taunusstein, laufe und laufe, aber nichts davon füllt mich aus. Und das Highlight des Monats ist ein Arztbesuch. Das kann doch einfach nicht alles sein.

Mein Lebensinhalt ist einfach dahin. Reisen, Menschen treffen, Neues erleben. Ich habe Freunde, aber sie wohnen weit weg in der Welt und eben da kann ich nicht hin. Ich sinne nur noch auf Fluchtmöglichkeiten.

Was ich mir wünsche wäre ein Gleichgesinnter. Ein Mensch, der sich eingesperrt fühlt wie ich und mit dem zusammen man versucht, das Beste daraus zu machen. Ja, ich habe Nachbarn. Drei sogar, alle Single. Und wenn wir uns treffen – nicht immer gleichzeitig – sind wir illegal. Ich tue es trotzdem. Aber es erfüllt mich nicht. Ich bin dankbar für sie, möchte keinen einzigen von ihnen missen. Aber sie sind anders als ich. Ich wünsche mir zum Beispiel jemand, mit dem man etwas machen kann. Ja, in der Pilzsaison bin ich mit einigen in den Wald gegangen, aber die Pilze sind vorbei. Ich würde mir wünschen, dass wir etwas gemeinsam tun. Zusammen kochen vielleicht, einen Ausflug zusammen machen. Aber nichts kommt da zurück, gar nichts. Jeder darbt allein vor sich hin. Dann kommen solche Äußerungen wie: Ich hoffe auf bessere Zeiten. Mit der Situation habe ich mich schon lange abgefunden. Ich gehe viel spazieren.

Also ich habe mich absolut nicht abgefunden, ich will raus.

Ich denke oft, dass unsere Politiker vollkommen abgesetzt sind von der Wirklichkeit. Es gibt viele Problemgruppen in der Gesellschaft, die sich schwer tun. Familien mit Kindern, Einzelhändler und so weiter. Ich will aber nur für meinen Bereich sprechen, ich kann nicht für andere reden. Unsere Politiker haben täglich Besprechungen, ob persönlich oder virtuell, aber sie sind immer in Kontakt mit Menschen, haben ihre Arbeit. Der Blick für solche allein lebenden Menschen wie ich, die einerseits in Rente sind und nicht mehr mit anderen beruflich in Kontakt kommen, andererseits aber auch von ihren normalen Freizeitbeschäftigungen abgeschnitten sind. Zum Beispiel dem Sportverein. Bei mir ist es meine Nebentätigkeit. Ja, ich habe auch einen großen Verdienstausfall, weil niemand mehr meine Reiseführer kauft. Die Menschen können ja nicht reisen. Aber das kann ich aushalten. Was mir fehlt ist der Lebensinhalt, der dahin ist. Keine Bestellungen abarbeiten, Bücher verschicken, Buchführung machen, keine Anfragen beantworten. Kein Kontakt, nichts. Ich halte es nicht mehr aus. Wenn es dir genauso geht, bitte melde dich. Ich brauche einfach Gleichgesinnte zum Austausch.

Am nächsten Tag: Fluchtplan A ist geschmiedet. Nun heißt es abwarten!!!