Ich spinne

Wenn ich früh am Morgen so ganz langsam mein Bewusstsein wiedererlange mache ich mir einen Sport daraus, die Tageszeit zu erraten. Es ist immer dunkel, ich wache ja früh auf, aber an den Geräuschen versuche ich, die Zeit zu erkennen. Und ich bin gar nicht so schlecht darin. Heute ist Sonntag, da ist es schwieriger, so früh fahren keine Autos. Aber ich habe mich doch nur um 10 Minuten verschätzt. Ist es noch vor 6 räkele ich mich noch ein Weilchen im Bett herum, ab 6 darf ich aufstehen, denn dann ist meine Frühstückszeitung schon da. Das weiß auch Prince, der so lange unter der Tanne wartet, bis ich raus komme und die Zeitung hole, auch er braucht sein Frühstück.

Dann gibt es die Nachrichten zum Frühstück, die Zeitung ist ja hoffnungslos hinterher, das TV ist da besser. Aber in der Zeitung finde ich immer, was so gerade los ist. An diesem Wochenende zum Beispiel die Home Show, eine Messe rund ums Haus, aber da war ich gestern schon mit Ulandis. Wenn dann alles genau studiert ist und das Sudoku mal wieder zu schwierig war gehe ich an den PC und erledige meine Arbeiten für den Tag. Um 9:30 waren dann alle Hausarbeiten erledigt und ich finde, dass das Wetter einfach fantastisch ist und ich unbedingt zum Strand muss. Eine Stunde lang walken, mit den neuen Pfundgewichten um die Handgelenke – die sind mir eigentlich zu leicht, ich glaube, die muss ich umtauschen. Dann noch eine halbe Stunde am Strand lesen, dann zieht es mich wieder nach Hause.

Was gibt es denn heute zu essen? Eine Schüssel Salat wäre toll. Aber der Salat mitsamt dem übrigen Gemüse ist in der unteren Schublade des Kühlschranks, original beschriftet mit „vegetable“. Und dort tief gefroren. Ich habe den Kühlschrank schon niedrig eingestellt, aber dort unten friert es immer. Also muss ich umräumen und meine Getränke dort aufbewahren. Statt Salat gibt es dann nur ein Omelette mit Bacon und Käse. Und leckere Kuchen, die Gabors Mieter mir hinterlassen haben, und die ich eigentlich ja gar nicht essen darf. Aber sie sind köstlich.

Nach einem Mittagspäuschen muss ich dann zur Gym, um die überflüssigen Kalorien wieder abzutrainieren. Aber eigentlich geht es um meinen Rücken. Ich hatte schon zu Hause ziemlich Probleme, wurde bei Dr. Gassen rundum gut behandelt mit Akupunktur, Schröpfen, Physiotherapie und so weiter und dachte schon, oh, außer horrenden Rechnungen ist ja nichts heraus gekommen. Hatte schon wieder vergessen, wie weh mir mein Rücken vor der Behandlung tat. Und eine Kraftmessung ergab dann auch, dass ich absolut und völlig untrainiert bin. Also nahm ich mir vor, mich hier in der „Y“ anzumelden. Das ist das Fitnessstudio, das von YMCA betrieben wird, eigentlich dem christlichen Verein junger Menschen. Die betreiben in USA die besten Studios, das ist viel mehr als nur ein Fitnessstudio, hier wird rundum Sport betrieben und vor allem auch die Jugend gefördert.

Zunächst überwog ja die Faulheit. Aber als ich eines Morgens aufstehen wollte und kaum aus dem Bett kam, mein Rücken mir wieder deutlich zeigte, wie weh er tun kann, da fuhr ich dann doch geradewegs dorthin, meldete mich an und bekam schon am nächsten Tag die Einweisung. Nach zweimaligem Trainieren war ich erstaunt, dass mein Rücken tatsächlich noch mehr weh tun kann, ich konnte mich kaum bewegen. Aber aufgeben ist nicht. Inzwischen war ich viermal da und es geht schon viel besser. Als ich heute gerade mein Programm absolviert hatte sah ich am Eingang ein Blatt liegen, hier konnte man sich eintragen für Spinning. Das hab ich noch nie gemacht, hab nur in meinem alten Studio die stark schwitzenden Menschen gesehen, aber was solls, ich kann es ja mal probieren. Ganz schüchtern fragte ich an, die nette Trainerin, absolut nicht jung, aber durchtrainiert und rank und schlank, stellte mir das Fahrrad ein und meinte, wenn es nicht geht könne ich ja nach 20 Minuten aufhören.

Das Programm ging eine Stunde und ich gab nicht auf! Habs geschafft. Habe vielleicht nicht so stark eingestellt wie die anderen, aber immerhin muss man eine ganze Stunde lang strampeln, oder eben spinnen. Und dazu wird die Körperhaltung angepasst, also Gewichtsverlagerungen gemacht. War gut. Das Training ist jeden Sonntag, ich geh wieder hin.

Aber nochmal grundsätzlich zur Y. In Deutschland ist der Altersdurchschnitt ja eher bei 30, hier offensichtlich deutlich jenseits der 70. Natürlich ist Florida ein Rentnerstaat, aber es ist doch überraschend, wie viele sehr alte Menschen dort trainieren. Die Trainerin, die mich einwies, entschuldigte sich für die kleine Verspätung, weil sie zuvor eine 90 Jährige einweisen musste, bei der es doch etwas länger dauerte. Zudem sah ich Menschen, die deutliche, altersbedingte Behinderungen hatten und mit Krücke oder Rollstuhl kamen. Also ich finde das toll!

Gerade als ich hinaus gehen wollte sah ich Jerry am Ergometer, Jerry hatte mir vor 15 Jahren mein Haus verkauft und er war natürlich sehr überrascht, mich zu sehen, wusste nicht dass ich im Land bin. Und wie klein Port Orange ist sieht man auch daran, dass ich auf dem Heimweg an einer roten Ampel anhielt, neben mir eine Harley, und darauf saß Bob. Er war auf dem Weg zum First Turn, aber ich entschied mich, doch lieber für einen gemütlichen Abend nach Hause zu fahren.