Zurück in die Jugend

Schon mein Vater hat Schmalfilme von seinen vielen Reisen gemacht, und auch ich habe mir zu Beginn die Kamera gerne ausgeliehen und ein paar Familienszenen gedreht. Aber die Qualität war schlecht, ohne Ton und zu Anfang sogar noch schwarz-weiß. Dann schritt die Technik voran und ich legte mir eine Videokamera mit Kassetten zu, die ich früher oft und gerne genutzt habe. Dann ließ erst einmal das Interesse am Filmen nach und auch der Videorekorder, der Hi8 abspielte (kennt überhaupt noch jemand die Bezeichnung?) ging irgendwann kaputt. Also überspielte ich alle Filme auf DVD, die aber nicht auf einem PC, sondern nur auf meinem DVD-Player zu lesen waren. Und ich dachte lange nicht mehr daran.

Heutzutage muss aber alles in digitalisierter Form auf einem PC vorliegen. Und dann kann man das, was man früher ganz allein besaß und höchstens mal auf einem Familiennachmittag der gelangweilten Verwandtschaft vorführen konnte, plötzlich mit der ganzen Welt teilen. Also war es mir ein Anliegen, meine alten Filme zu digitalisieren. Karl Heinz erbot sich, das für mich zu übernehmen. Ich übergab ihm meine DVDs und den passenden Rekorder und machte mich auf nach Amerika, in der sicheren Gewissheit, Karl Heinz wird’s schon machen.

Und auch bald erhielt ich zwei Filmchen und freute mich sehr. Doch dann kam nichts mehr. Karl Heinz sprach von Problemen, die man so über den großen Teich nicht lösen konnte. Eilig war es auch nicht und so traf ich mich nach meiner Rückkehr mit ihm. Schnell stellte sich heraus, dass es eigentlich nicht möglich ist, diese DVDs, die viele einzelne Filme enthalten, ohne den, der die gedreht hat und genau kennt, zu konvertieren. Sonst würde man nur einen endlos langen Film erhalten, der auch endlos groß wird und mit dem man wenig anfangen kann. Ich fragte nach dem Gerät, mit dem das ganze digitalisiert werden kann und war erstaunt, dass es nur eine winzige Box von Terratec ist, die auch nur wenig kostet, für unter 80 Euro war sie schon einen Tag später mein.

Und dann gab es kein Halten mehr. Beim Konvertieren merkte ich sofort, dass dies keine Arbeit ist, die man einem anderen zumuten kann. Es dauert viele Stunden, denn nicht nur muss man die Filme in Echtzeit abspielen und auch anschauen, die Zeit für das Konvertieren dauert noch wesentlich länger. So waren denn schon einige Wochenenden mit heftiger Arbeit gefüllt.

Aber das Ergebnis war toll. Zwar waren die alten Filme immer noch in der gleichen schlechten Qualität, aber meinen heute fast 50jährigen Sohn als Baby zu sehen war doch schön. Oder die längst verstorbenen Eltern. Natürlich habe ich immer dann, wenn ich Leute in den Filmen gut kannte und noch Kontakt hatte, ihnen einen Link dazu über youtube geschickt, auch das gab immer tolle Momente. So schrieb mir ein tunesischer Bekannter, den ich schon Jahrzehnte nicht mehr gesehen habe: Merci, tu m’as fait vivre le meilleur moment de vie, et je suis devenue vie. Wer‘s nicht versteht, so etwa wie, danke, das war der beste Moment meines Lebens und ich bin ins Leben zurückgekehrt.

Einer Kusine schickte ich Fotos von ihren Eltern, die auch lange nicht mehr leben, und ihren kleineren Geschwistern. Und meine Nichte bekam einen Film von ihrer Erstkommunion, während das nächste Fest in ihrem Leben der Renteneintritt sein wird.

Aber das schönste Erlebnis war doch der Film über die Reise nach Griechenland, die ich 1980 gemacht hatte. Das Ganze kam sehr spontan zustande. Zu meinen Freunden zählte ein Student der Mainzer Uni, der über Ostern an einer geographischen Exkursion nach Griechenland teilnehmen wollte. Ich war schon ein wenig neidisch, wäre gerne mit, und kaum zu glauben, am Mittwochabend vor der Reise kam er zu mir und sagte, ein Student sei ausgefallen und man brauche Ersatz, weil sonst sein Kostenanteil von den anderen übernommen werden müsse. Zwischen Donnerstag und der Abreise am Samstag wurde ich dem Professor vorgestellt, ob er mich auch akzeptiert, musste ich um Urlaub fragen und meinen Sohn für die drei Wochen zur Schwester nach Holland schicken. Und am Samstag stand ich reisefertig am Bahnhof, denn damals flog man nicht mal so einfach nach Griechenland, man nahm den Zug für die 48 Stunden lange Fahrt.

Und ein Film dieser Reise war unter den alten Schätzen!

Natürlich dachte ich gleich an diesen Studenten. Nach der Reise hatten wir den Kontakt verloren, die Leben drifteten auseinander. Dank meines Tagebuches war der Vorname klar, an den Nachnamen konnte ich mich nicht recht erinnern, nur dass er mit P begann. Und ob ihr es glaubt oder nicht, ich fand ihn. Zunächst ein Versuch über google in Zusammenhang mit der Mainzer Uni, das brachte nichts. Aber in Facebook fand ich ihn ziemlich schnell und sendete ihm einen Link.

Thomas war ganz begeistert. Auch für ihn war es schön, einen kleinen Rückblick in sein Leben vor 37 Jahren zu erhalten und er schlug vor, dass wir uns treffen. Am Montag war es dann so weit und wir besetzten stundenlang einen Tisch im Café, um über die alten Zeiten zu reden. Es war richtig schön. Interessant dabei auch, wie zwei Menschen sich oft sehr unterschiedliche Reiseszenen merken. Aber wenn dann der eine ein Ereignis erwähnte, fiel es dem anderen auch wieder ein.

Ich finde ja oft, je älter wir werden, desto wichtiger wird die Vergangenheit. Ich würde gerne viel öfter Menschen aus meiner Vergangenheit treffen und über die alten Zeiten reden. Das heißt jetzt nicht, dass ich nicht in der Neuzeit lebe und aktiv bin, aber das alte sollte doch nicht vergessen sein, es gehört zu uns und hat uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Und diese Griechenland-Reise war eigentlich der Auslösepunkt für meine vielen Reiseaktivitäten, die danach kamen.