Archiv für den Monat: November 2019

Kalt

Es ist kalt geworden. Der gestrige Mittwoch war seit Monaten der erste Tag, an dem es mittags nicht über 30 Grad ging. Und heute früh ist es ganz schön frisch, nur im T-Shirt draußen ist ungemütlich, gestern Morgen konnte man in Agdz noch so sitzen. Der Winter ist wohl unaufhaltsam, wenngleich ich noch Möglichkeiten habe, dem schlimmsten zu entgehen. Aber eine ungemütliche Heimfahrt wird es in jedem Fall. Heute wohne ich in dem neuen Riad Tama bei Ouarzazate, den ich testen soll. Naja, hundert Prozent begeistert bin ich nicht. Nettes Personal, schöne Zimmer, gutes Essen, aber irgendetwas fehlt mir. Und gestern Abend wollte ich noch mal im Palmenhain spazieren gehen, doch die Moskitos bissen zu.

Kasbahs und Freunde in Agdz

Die Tage in Zagora waren etwas getrübt, weil ich mich ziemlich schlapp fühlte. Zwar hat Abdellah alles getan, damit ich mich besser fühle und auch eine heiße Suppe gekocht, aber so richtig wurde es nicht. Also setzte ich mich genauso schlapp ins Auto und fuhr nach Agdz. Dort wollte ich in der Casbah-des-Arts wohnen, an deren Aufbau mein guter Freund Kamal el Kacimi beteiligt war. Aber Kamal muss heute so viele Filme drehen, dass er nur noch selten in der Kasbah ist. Doch warteten in Agdz ja noch einige andere Leute auf mich, vor allem mein „bester Mitarbeiter en route“ Wolfgang.

Im letzten Sommer, in der kurzen Periode, in der ich mal in Deutschland erreichbar war, schrieb mich ein Wolfgang aus Österreich an und hatte eine Frage, die sich schlecht schriftlich beantworten ließ. Also rief ich ihn an. Daraus wurde ein sehr langes Gespräch, denn Wolfgang wollte mit seiner Frau zum erstenmal nach Marokko und hatte tausend Fragen. Es gingen noch öfter Emails hin und her und vor wenigen Wochen ist er in Marokko eingereist. Wir unterwegs in entgegen gesetzter Richtung und in Agdz sollten sich unsere Wege kreuzen. Auf seiner Fahrt hatte mich Wolfgang immer über Neuigkeiten und Änderungen informiert, worauf er die Auszeichnung „bester Mitarbeiter en route“ erhielt.

Und da saßen sie denn auch auf dem Campingplatz vor der Kasbah des Kaid Ali, die Beiden im grellroten T-Shirt mit Aufschrift „Immer wieder Österreich“. Das erste persönliche Zusammentreffen verlief sehr herzlich und eine Flasche Wein wurde dazu geköpft. In der Ferne lief ein Mann über den Platz – außer uns war kein einziger Camper da – das ist doch! Ich rief: Mbark. Er drehte sich um und brauchte einen Moment, um mich zu erkennen vor einem für mich doch unüblichen Wohnmobil. Die Überraschung war riesengroß. Er setzte sich zu uns und wir machten ein denkwürdiges Foto, heute und 30 Jahre zuvor im Vergleich.

Ich hatte den Campingplatz 1989 entdeckt, als ich noch nicht begonnen hatte, Reiseführer zu schreiben. Mbark und seine Brüder kümmerten sich um den Platz und es lief alles sehr leger ab, eher freundschaftlich als kommerziell. Es war halt noch eine ganz andere Zeit, als sich noch niemand daran störte, dass die Sanitäranlagen nur aus einem Stehklo bestanden. Aber die Jungs waren nett und ich wurde auch gleich in die Familie aufgenommen. Ich blieb schließlich bis zum Ende meines Urlaubs, weitere 3 Wochen, und es war eine wunderschöne Zeit.

Aber auch mit Wolfgang und Monika war es schön, sie verstehen nicht viel Französisch und waren deshalb froh, in mir eine Übersetzerin zu einer lokalen Persönlichkeit zu bekommen, denn sie hatten viele Fragen. Im Anschluss zeigte ich ihnen noch die Kasbah Kaid Ali, die zum Campingplatz gehört, und auch die Casbah-des-Arts gleich gegenüber, in der ich wohnte. Beide gehören historisch zusammen und ich habe in meinem Reisehandbuch die Geschichte ausführlich aufgeschrieben. Vor allem von dieser zweiten Kasbah, von deren elf Terrassen sich ein wirklich unglaublicher Ausblick bietet, waren sie sehr begeistert. Und am Ende fanden wir dort noch drei interessante Bewohner, nämlich Fledermäuse, die ich noch nie so nahe gesehen hatte.

Es war sehr schade, dass wir uns am nächsten Morgen wieder trennen mussten, ich wäre gerne noch ein wenig mit den Beiden zusammen geblieben. Aber immerhin sandte ich sie nach Zagora in gute Hände, nämlich zu Abdellah, und auch ins Café Oscar mit dem Tipp, sich vorher in der Konditorei ein Stück Kuchen zu kaufen, was natürlich sogleich befolgt wurde.

Von Taragalte nach Zagora

Das Festival habe ich nur am ersten Tag besucht. Aus den Musikgruppen, die am Abend spielen, mache ich mir nicht viel, mir gefällt besser die traditionelle Musik ohne Verstärker, die am ersten Nachmittag gespielt wurde, und die konnte an den nächsten Tagen nicht noch besser werden. Doch hörte ich, dass es abends brechend voll war. Die Einheimischen dürfen das Festival kostenlos besuchen und für die Jugend des Ortes gibt es wenig Abwechslung. Also zog am Abend eine ganze Karawane von Autos und Mopeds hinaus und leider gab es auch zwei tödliche Unfälle bei der An- und Abreise zu beklagen.

Ich genoss deshalb den letzten Tag in der Kasbah in Ruhe und ging nicht vor die Tür. Das Hotel war voll, viele Festival-Besucher wohnten dort und es gab nette Gespräche. Am Abend tauchte dann Belaid auf, ein mir gut bekannter Musiker aus Zagora, den Abdou eigens bestellt hatte, um zu spielen. Doch zunächst ging er mit Abdou zum Festival und ich saß todmüde alleine im Hotel. Um halb zehn ging ich ins Bett. Viertel nach elf dann hörte ich Musik und ging wieder raus. Und dann saßen wir bis nach zwei Uhr zusammen. War es die späte Uhrzeit, an die ich nicht gewöhnt war, oder die zwei Glas Wein? Auf jeden Fall fühlte ich mich am Morgen schauderhaft. Dennoch – ich wollte abreisen. Vier Wochen in der Kasbah sind einfach genug. Es war eine schöne, erholsame und friedliche Zeit, die ich sehr genossen habe. Die Jungs haben alles für mein Wohlbefinden getan. Aber irgendwann ist Schluss und ich muss weiter. Als ich in Zagora im Riad Fennec Sahara ankam war ich total müde und erledigt, mit Essen konnte man mir keine Freude machen und dabei wollte mich jeder einladen. Um 8 Uhr war ich schon im Bett.

Am Montag dann ging es schon viel besser, wenn auch die Energie noch nicht vollständig wiederhergestellt war. Mein Auto blieb jedenfalls in der Garage. Ich wollte zu Belaid, doch der war immer noch in Zagora, auch Mostafa war nicht in seinem Restaurant, also setzte ich mich ins Café Oscar und holte mir einen Kuchen zum köstlichen Milchkaffee. War das lecker. Endlich mal was anderes als das ewige Tajine, ich kann es einfach nicht mehr sehen. Auch an diesem Tag musste ich wieder zwei Einladungen zum Essen ablehnen, doch am Nachmittag spazierte ich zu Belaid.

Hochzeit in Zagora

Auf dem kurzen Straßenstück zwischen meiner Unterkunft und Belaids Auberge Prends ton Temps versperrte ein großes Zelt die Straße, eine Hochzeit wurde gefeiert. Ich hätte mich da nie hinein getraut, doch Belaid sagte, geh nur, die Leute sind freundlich und mögen Touristen. Ich linste also zur Tür hinein, sofort kam ein Mann und fragte, wollen Sie mal schauen. Eine schöne junge Frau stand am Treppenaufgang, er übergab mich ihr, Nora führte mich hinauf und da war dann die Hölle los. Bestimmt 200 Frauen in die schönen bestickten schwarzen Tücher von Zagora gehüllt, saßen in dem großen Raum eines ehemaligen Hotels und sangen und trommelten. Ich erfuhr, dass Nora die Braut war, sie war im Gegensatz zu den anderen in einen beigefarbenen Kaftan gehüllt, der wunderschön mit Perlen bestickt war, dazu trug sie goldene Schuhe. Sie war sehr freundlich und wir unterhielten uns in Englisch. Sie studiert Geschichte in Agadir und wird das auch nach der Heirat fortsetzen. Die Frauen waren ihre Schwestern und Freundinnen und Nachbarinnen, natürlich gab es auch ihre Mutter und damit die ältere Generation, und alle trugen unter den schwarzen Tüchern wunderschöne Kaftane in sehr unterschiedlicher Art und natürlich auch viel Goldschmuck. Das ist ein Fest, wo man sich richtig schön macht. Und ich in meiner scheußlichen Alltagskleidung daneben fühlte mich echt mies. Hätte ich das gewusst, hätte ich zumindest mein mauretanisches Kleid angezogen. Viele der jungen Frauen trugen einen Säugling auf dem Rücken oder dem Schoß, das hinderte sie aber nicht daran, zu tanzen. Die Lieder wurden vor allem von den älteren Frauen gesungen. Wir gerne hätte ich Fotos gemacht, aber das ging natürlich nicht. Aber ich dufte ein Selfie mit Nora, der Braut, machen und von den Händen ihrer Freundin, die das schönste Henna-Muster trugen, das ich je gesehen habe. Dann gab es Tee und jede Frau bekam ein kleines Päckchen mit Süßigkeiten. Ich aß zwar einen Keks, wollte das Päckchen aber als Souvenir mitnehmen, doch Nora erkundigte sich besorgt, ob ich denn die Kekse nicht mag. Aber ich konnte sie beruhigen und überzeugen, dass ich es lieber als Erinnerung aufheben möchte. Die Frauen griffen immer wieder zu den Trommeln und auch mich hielt es nicht. Genau wie Nora nahm ich zwei Teegläser und schlug sie im Takt der Musik gegeneinander. Es war richtig schwer, sich zu verabschieden, sie wollten mich am liebsten die ganze Nacht dabehalten.

Situation an der Grenze Marokko – Mauretanien

Die wildesten Gerüchte kursieren im Internet. Die Grenze sei blockiert, man könnte nur noch im Konvoi fahren und so weiter. Nicht davon stimmt. Was ist passiert?

Vor etwa einer Woche wurden marokkanische Sahraouis wegen Schmuggel zwischen den beiden Ländern mit einer Strafe belegt. Darauf haben sie einen Lastwagen quer gestellt und die Straße blockiert. Wohlgemerkt vor Fort Guergarat, die Grenze selbst war nicht gesperrt und es gab auch keine Konvois. Es gab Verhandlungen und der Lastwagen wurde wieder beseitigt. In diesem Zusammenhang muss ich auch noch einmal darauf hinweisen, dass es sehr sinnvoll ist, sich eine Einladung für das Land zu besorgen wie in meinem Mauretanienführer geschrieben und somit einen lokalen Kontakt zu haben. Der ist bei sehr vielen Problemen behilflich, zum Beispiel auch, wenn irgendwelche Bestechungsgelder verlangt werden oder ganz einfach für die Formalitäten an der Grenze. Mauretanien ist heute ziemlich sicher geworden, aber dennoch ist es ein Land, das noch weit hinter Marokko zurück liegt. Die malische Grenze mit seinen Rebellen ist nicht weit und im Namen der Sicherheit und vor allem auch zur Vereinfachung der Formalitäten ist eine solche Einladung unbedingt ihr Geld wert. Danach kann man alleine durch Mauretanien fahren, hat aber immer eine Telefonnummer, unter der Hilfestellung erreichbar ist.

Festival Taragalte in Mhamid el Ghizlane

Ich bin begeistert. In meinem Reisehandbuch (wo eine Frau auf dem Titelbild ist, die in Mhamid Guedra tanzt) schreibe ich viel über die Stämme, die bei Mhamid leben, und ihre Traditionen:

Die Gesänge und die Tänze der Sahraouies drücken ihre Gedanken und Vorstellungen aus, die Hoffnungen der Künstler und ihren Durst nach Freiheit und Unterhaltung. Es gibt fünf Hauptrhythmen und jeder ist die Spiegelung der Seele und des Lebens, der Gefühle von Liebe, von Freuden oder von Leiden, der Arbeit, der Ereignisse und der Umwelt. Ein Rhythmus ist langsam und bedächtig wie der Gang des Dromedars, es gibt einen fröhlichen Rhythmus für Feste und Hochzeiten, melodische Gesänge der Frauen, die allein bei den Zelten zurück geblieben sind. … Doch die Unabhängigkeit Marokkos im Jahre 1956 und die erschwerte Überquerung der Grenzen mit Algerien und Mauretanien haben definitiv den Karawanenhandel und die Herdenwanderung beendet und die Nomaden zur Sesshaftigkeit verurteilt.

So muss man fürchten, dass diese Traditionen heute in Vergessenheit geraten. Um dem vorzubeugen haben Ortsansässige vor 10 Jahren das Festival Taragalte ins Leben gerufen und ich habe es in diesem Jahr zum erstenmal besucht. Es findet genau da statt, wo es hingehört, nämlich in der Wüste an der alten Karawanenstraße nach Timbuktu. Und diese Lage ist wunderschön. Kleine Sanddünen erheben sich, dazwischen Tamarisken und ab und zu auch eine Palmengruppe. Hier werden jedes Jahr Biwaks aufgebaut, Zeltstädte, denn man kann nicht nur mit einem Tagesticket das Festival besuchen, sondern auch ganze Pakete kaufen, wo der Transport ab Marrakech und die Übernachtung im Zelt eingeschlossen sind. Hier wird sehr viel Wert darauf gelegt, einen sorgsamen Umgang mit der Natur zu pflegen. Eine extra Entsorgungsstation kümmert sich um den Abfall, der getrennt und wenn möglich recycelt wird. Eine kleine Basarstraße hat die Waren vorrätig, die man hier braucht, wie die entsprechende Wüsten-Kleidung, Schmuck und Teppiche. Auch einige Essenstände gibt es, aber die Masse der Besucher wird ja im Biwak versorgt. Um 16 Uhr sollte laut Programm die Eröffnung sein, aber daran darf man sich in Marokko nicht festklammern. Ab 17 Uhr gab es an allen Ecken Musik. Die traditionellen Musikgruppen spielten wie die Gnaoua, aber am schönsten ist für mich immer die Guedra. Dieser magische Tanz wo zunächst verschleierte Frauen unter dem anfeuernden Klatschen der Männer immer wilder tanzen. So lange hatte ich nur gehört und gelesen von diesem Tanz, den es auch in Guelmim geben soll, aber hier in Mhamid kann man es hautnah erleben. Einfach dafür ist der Besuch des Festivals schon zu empfehlen.

Am Abend gegen 21 Uhr dann spielen verschiedene Gruppen auf der großen Bühne, aber ich fahre lieber heim. Mir ist die echte Musik, die ohne Verstärker auskommt, viel lieber. Auf dem Heimweg kommen mir viele Fahrzeuge und Mopeds mit der einheimischen Jugend entgegen, die alle zum Festgelände streben.

Video Taragalte

Video Guedra