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Tschüss Krücken

Heute war mein Termin 4 Wochen nach der OP, der langerwartete Termin, denn ich sollte doch heute die Krücken weglegen können und wieder ein wenig mobiler werden. Gestern Abend versuchte ich mal, auf meinen zwei Beinen zu stehen/laufen, es war schwierig und ich war ziemlich frustriert. Hatte mich doch so gefreut. Natürlich ging es dann heute früh wieder auf Krücken in die Praxis und schon wurde ich angemault. „Sie sollen doch nicht fest auftreten!“. Aber ich darf doch nach vier Wochen, und die sind heute rum.

Okay, sie rechnete ein wenig und sagte dann, ja stimmt. Mein Fuß sieht gut aus, also darf ich es so machen. Aber leicht ist es nicht. Als wir nach dem Besuch noch schnell zum Einkaufen fuhren und ich das erste Mal nach einem Monat wieder einen Supermarkt betreten konnte nahm ich die Krücken noch mit. Aber war glücklich.

So richtig gut ist das Laufen aber noch nicht, vor allem, weil der Vacopedes ja viel höher ist als mein Turnschuh auf der anderen Seite. Zwar gibt es dafür Ausgleichssohlen, die man unter dem normalen Schuh befestigt, aber ich habe nichts Gutes darüber gehört. Es sind ja auch nur 14 Tage und ich soll ja eh nicht allzu viel laufen. Also weder Marathon noch Rock-n-Roll tanzen. In zwei Wochen soll ich dann soweit sein, dass ich wieder normale Schuhe tragen und auch Auto fahren kann. Wie schön. Die werden doch sicher auch irgendwie rumgehen.

Übrigens schreibe ich den Blog über meine OP vor allem auch für die Leute, die vielleicht ebenfalls eine Hallux Valgus OP vor sich haben. Frau Dr. Schröder scheint mit ihrem minimal invasiven Eingriff eine kürzere Zeit im Schuh für nötig zu halten als andere Ärzte, worüber ich sehr froh bin. Wenn ich nun im nächsten Jahr den anderen Fuß machen lasse und vielleicht nicht auf sie zurückgreifen kann, weil sie ja zurück nach Frankfurt geht, weiß ich zumindest, welche gezielten Fragen ich einem Arzt stellen muss.

Danke Zoe

Auf den heutigen Besuch hatte ich mich sehr gefreut, Enkelin Zoe kam aus Düsseldorf, um mich zu besuchen. Sie brachte mir – auf meinen Wunsch – eine Flasche Wodka mit, Zitronen hatte ich, so dass wir uns sofort zusammensetzten, um einen Limoncello anzusetzen. Den liebe ich einfach und obwohl ich mir eigentlich geschworen hatte, wegen meinem Füße-Kribbeln etwas weniger Alkohol zu trinken und eben keinen Limoncello mehr zu machen, hat es einfach nicht geklappt. Ich träumte Tag und Nacht davon und wurde dann eben doch schwach. Ein Gläschen am Abend dürfte ja nicht so schlimm sein.

Danach mussten wir basteln. Nein, sie ist nicht mehr im Kindergarten, mit ihren 22 Jahren, aber wir mussten etwas basteln, womit sie ihre Eltern anfeuern konnte, die beide am gestrigen Marathon in Wiesbaden teilnahmen. Und da war es ganz praktisch, dass ich noch zwei Fächer hatte, von der Messe IMEX, wo ich kürzlich war. Wir schrieben also jeweils vorne den Namen drauf, hinten ein Foto, und so konnte dann Zoe sie anfeuern. Schweren Herzens entschloss ich mich, abends nicht dabei zu sein, ich darf den Heilungsprozess meines Fußes nicht gefährden.

Danach bereiteten wir uns noch zusammen einen Spinatkuchen zu und ließen es uns schmecken, begleitet von einer Flasche Cremant de Loire. Es war so ein wunderschöner Tag, dass ich davon auch noch heute zehren kann. Ich kann nur allen sagen, wenn ihr jemand im Familien- und Freundeskreis habt, der so wie ich ans Zuhause gefesselt ist, besucht ihn, seid für ihn da, es ist so wichtig und bringt einfach ein wenig Lebensfreude.

Unser Basteln hatte Erfolg, Zoe wartete an der Laufstrecke und feuerte so sehr an, dass beide ihre Bestzeit gelaufen sind, Geli den halben Marathon in 2:12 und Brian den ganzen in 3:55! An ihren Gesichtern kann man sehen, wie überrascht sie von den schönen Wedeln waren.

Edith Allein zu Haus

Stellt euch vor, ihr seid kerngesund, aber dazu verdammt, 4 Wochen lang flach zu liegen. Das haut doch die stärkste Frau um. Als erstes zog ich mal meine Fitnessuhr aus, denn mein persönliches Minimum von 10.000 Schritten ist ja nicht zu erreichen, mit Essen zubereiten und Toilettengang komme ich so auf 1500 Schritte pro Tag. Das war zu erbärmlich anzusehen, also weg damit.

Ich darf den operierten Fuß nicht belasten, muss ihn kühlen und hochlegen. Zur Ruhigstellung muss ich einen Vacopedes tragen, eine Art orthopädischer Schuh. Und das Tag und Nacht. Zudem muss das Bein auch nachts höher liegen, eine weitere Herausforderung. Mit Kissen und einem eingerollten Teppich habe ich versucht, die Matratze im unteren Teil höher zu machen, aber ich bin Seitenschläferin, und da ist das Schlafen extrem schwierig.

Es ist eine echte Herausforderung, allein zu leben, selbst für sein Essen zu sorgen und soweit wie möglich das Bein hochzulegen. In den ersten Tagen war ich vollkommen geschafft, nur mein Frühstück zuzubereiten, und brauchte danach erstmal eine längere Pause. Inzwischen strengt mich das nicht mehr so an, auch weil ich meinen Mobi-Roll habe, mit Gehhilfen hätte ich das nie geschafft.

Tag für Tag wache ich nun morgens auf und warte auf den Abend. Es gibt ja nichts zu tun außer dem Essen, die einzige Abwechslung. Ich möchte nicht wissen, wieviel Kilo mehr ich danach auf der Waage haben werde. Aber das schlimmste ist die Einsamkeit. Der einzig verlässliche Besuch ist meine Nachbarin Marlies, zwar schon über 80, aber gelernte Krankenschwester, die mir Schisser meine Thrombosespritzen gibt. Kann ich doch nicht selbst, wie denn, wo ich beim Einstechen immer meine Augen zupressen und das Gesicht verziehen muss.

In so einem Fall merkt man auch ganz schnell, wer seine Freunde sind und wer völlig abtaucht. Meine Familie ruft regelmäßig an, das ist ein großer Trost. Sie sind aber viel zu sehr im Beruf eingespannt, um sich auch noch um meine Versorgung zu kümmern, ein Highlight sind die wenigen Arztbesuche, zu denen mich meine Schwiegertochter abholt. Aber letzten Sonntag kamen sie mit einem leckeren Gulasch, wir aßen gemütlich auf dem Balkon und auch für die nächsten Tage ist noch was da. Danke, das war wunderbar.

Aber ansonsten ist nicht viel los. 5 Tage muss es nun noch so gehen, dann kommt hoffentlich die Erlösung, indem ich die Krücken wegstellen darf und auf meinem Vacopedes humpeln soll. Hoffentlich klappt es und wird nicht weiter verzögert. Aber ich brauche Gesellschaft, ruft mich doch mal an!!!

2. Nachsorgetermin

Vor dem Termin graute es mir, gleichzeitig konnte ich kaum erwarten, zu sehen, wie sich mein Fuß entwickelt hat. Wird sie wieder mit mir schimpfen? Wir setzten uns wieder an die Rezeption, dann gingen wir aber lieber ins Wartezimmer, um so die Strecke zu verkürzen, die die Ärztin mich auf Krücken sehen würde. Der Plan ging auf, denn sie rief nur kurz von der Rezeption, gehen Sie ruhig schon mal ins Untersuchungszimmer, und ich gelangte zu meinem Platz, ohne dass sie mich auf Krücken humpeln sah. Erster Punkt geschafft.

Der Fuß wurde ausgepackt und schon rief sie, sehen Sie wie schön der heute ist? Nicht mehr geschwollen! Ihr war wohl bewusst, wie sehr sie mich beim letzten Mal ausgeschimpft hatte, meinte aber, sie müsse streng sein, damit die Patienten sich an die Anweisungen halten. Naja, ich könnte mir auch eine andere Methode vorstellen. Jedenfalls war die Heilung so weit fortgeschritten, dass sie die Fäden ziehen konnte und ich auch keinen Verband mehr brauchte. Die Zehen wurden mit Tape gerichtet und dann einfach der Vacopedes darüber angezogen. Aber als ich aus dem Zimmer humpelte, kam trotz aller heutigen Freundlichkeit doch wieder ein Dämpfer: Sie treten ja doch auf! Nein, hab ich nicht!

Der Plan ist, dass ich nun erst in zwei Wochen einen Termin habe, bis dahin weiterhin den Fuß hoch lege und kühle, keine Spaziergänge zu Briefkästen mache und möglichst auch nicht mein Bett. Dann könnte, wenn alles nach Plan verheilt, ich die Krücken vergessen und auf meinen zwei Beinen laufen, natürlich mit Vacopedes.

Später telefonierte ich mit einer Bekannten, die vor wenigen Jahren eine vergleichbare OP durchgemacht hat. Aber ihre Methode war eine ganz andere. Sie durfte die ersten 6 Wochen gar nicht auftreten, bekam Rollstuhl und Toilettenstuhl, aber auch eine Putzhilfe. So überlege ich, mit dem nächsten Bein doch wieder zu Frau Dr. Schröder zu gehen oder mich zumindest vor einer OP genau über den Plan danach zu informieren.

Mobi-Roll

Meine OP hing ja schon lange wie ein Damokles-Schwert über mir und so war ich besonders aufmerksam, als ich eine Bekannte in USA erlebte, die trotz einer Fuß-OP auf einem Knieroller nur so durch die Lande brauste. Auf unserem Fahrrad-Event gehörte sie zu den Helfern und ließ sich nicht abhalten, voll dabei zu sein. Sie sagte mir, dass sie das Teil bei Amazon für recht wenig Geld gekauft hatte.

Es war natürlich klar, dass auch ich so etwas wollte. Das deutsche Amazon zeigte mir aber recht wenig Angebote dazu und schnell merkte ich, dass ein Knieroller in Deutschland noch ziemlich ungewöhnlich ist, daher auch viel teurer. Meine Ärztin schrieb mir ein Rezept für einen Orthoscooter zur Miete. Mein Sohn fand dann im Netz noch den Mobil-Roll. Den gibt es in verschiedenen Ausführungen, auch als Mietobjekt wie den Orthoscooter und offiziell als Medizin Hilfsmittel unter der MDR.-Nr. 22.50.02.0002 gemäß Medizinprodukteverordnung (EU) 2017/745 (MDR) zugelassen.

https://www.mobi-roll.de/

Ein endloser Dialog mit der Hallesche, meiner privaten Krankenkasse, begann. Da ich das Teil noch vor dem Krankenhausaufenthalt benötigte und eine Entscheidung der Hallesche nicht eintraf, beschloss ich, den von Mobi-Roll selbst zu kaufen, eine Investition von immerhin etwa 400 Euro. Da ich immer noch unsicher war, welches Modell, rief ich bei der Firma an und hatte ein wirklich nettes Gespräch mit Herrn Göbel, dem Inhaber. Er versprach mir die Auflage kostenlos dazu zu geben. Die medizinisch zugelassene Version gibt es nur als Mietobjekt und ich entschied mich als passionierte Fahrrad-Fahrerin für die Version Sitzroller, mit einem Fahrradsattel und vorne einer Auflage für das verletzte Bein. Schon im Krankenhaus erreichte mich dann der Bescheid der Halleschen, dass ein Knieroller grundsätzlich abgelehnt wird.

Inzwischen war der Sitzroller eingetroffen, mein Sohn baute ihn zusammen und monierte, dass man ihn nicht zum Knieroller umbauen konnte. Ich hatte Herrn Göbel ja so verstanden, dass dies möglich sei. Auf meine schriftliche Anfrage danach kam nur eine ziemlich kurze Email, dass ich ja alle Zubehörteile bestellen könnte und auf eine Erwiderung meinerseits kam nichts mehr. Die Nettigkeit war verschwunden.

Nach der OP im Krankenhaus bestieg ich dann den Sitzroller und war zunächst zufrieden. Ich konnte recht gut über den Gang rollen und auch das Krankenhauspersonal war begeistert, sie hatten so etwas noch nicht gesehen. Aber schon am nächsten Tag war die Begeisterung vorbei. Wenn ich korrekt das Bein auflege, entsteht eine so unnatürliche Haltung, dass mir sowohl das Bein als auch der Po weh tut, und das obwohl ich wirklich viel Fahrrad fahre, sogar am Tag vor der OP 60 km. Aber mit dem unnatürlichen Hochlegen des Beines entsteht eine völlig andere Sitzposition und deshalb tat mir eben der Po weh, da genau diese Polster sonst nicht benutzt werden.

Es war schwierig, echt schwierig. Zuhause benutzte ich den Scooter weiter, Herr Göbel hatte ja auf seinen geringen Wendekreis hingewiesen und das ist auch in der Tat so. Worauf aber nicht hingewiesen wurde, ist, dass beim scharfen Einschlagen des Lenkers der Scooter zum Umfallen neigt. Ich kann es kaum noch zählen, wie oft ich seitdem umgefallen bin, natürlich immer nur in Zeitlupe, und ich habe das verletzte Bein mit seinem Vacopedes immer instinktiv hochgehalten, so dass dem Fuß nichts passiert ist, aber das andere Bein voller blauer Flecken ist.

Schnell merkte ich, dass ich auf die vorgesehene Weise mit dem Scooter nicht zurechtkomme, ich das Bein nicht vorne auflegen kann, weil es einfach zu unbequem ist. Auch stört die Auflage, wenn ich um die Kurven fahre. Also montierte ich diese ab, sitze nun in einer ganz anderen Position, fast schon wie im Reiter-Damensattel, und lasse das Bein runter hängen. Nur damit habe ich erreicht, dass ich den Scooter weiter benutzen kann und ihn doch nicht in die Ecke gestellt habe, wie meine Ärztin forderte, als sie vom Umfallen hörte. Denn, um ehrlich zu sein, die Fortbewegung ist eben doch einfacher als mit Krücken. So schade, dass ich den Knieroller nicht ausprobieren kann, aber ich bin nicht bereit, noch mehr Geld in das Projekt zu stecken. Der Sitzroller indes bräuchte noch ein paar Verbesserungen.

Meine Hallux Valgus OP

Bestimmt 10 Jahre hing diese OP wie eine drohende Wolke über mir, ich hatte einfach Angst davor, so lange zur Bewegungsunfähigkeit verdammt zu sein, 3 Monate immobil hatte mir der Orthopäde gesagt. Aber die Probleme wurden immer größer, die Zehen hatten bereits eine erhebliche Fehlstellung und so war es klar, die OP wird in diesem Jahr erfolgen. Ich entschied mich für die Privatklinik Lilium in Wiesbaden-Nordenstadt, wo eine anerkannte Fußspezialistin tätig sei.

Der erste Besuch war etwas seltsam, die Ärztin sehr kurz angebunden, aber ich vertraute auf ihre Fachkompetenz und am 27.5. fand die Operation statt. Von der Klinik war ich sofort begeistert. Nur 10 Zimmer für insgesamt 12 Personen, eher Hotelatmosphäre als Krankenzimmer, mit Minibar, Fernseher und einer Auswahl an Pflegeprodukten im Bad. Das Personal sehr jung und nett. Ich fühlte mich rundum wohl. Die Mahlzeiten kann man sich aus einer Karte aussuchen und auch die Uhrzeit selbst bestimmen, alles war sehr schmackhaft mit Croissant und Latte Macciato zum Frühstück.

So gegen 14 Uhr wurde ich in den OP-Saal gerollt, man trug mir auf, von Florida zu träumen, klappte aber nicht, denn beim Aufwachen war ich tief in Marokko versunken, wo ich ja auch gerade ein paar Tage zuvor war. Um 17.30 Uhr war ich wieder wach in meinem Zimmer, bekam aber leider nur eine Scheibe Brot zu essen, am OP Tag gibt es nicht mehr.

Am nächsten Morgen, nach meinem leckeren Frühstück, kam die Physiotherapeutin und zeigte mir, wie ich mich auf den Krücken fortbewegen soll. Ich soll den Fuß so zart aufsetzen, dass ein rohes Ei nicht kaputt ginge, ihn dann aber abrollen. Mein Fuß steckt in einem sogenannten Vacopedes, den ich nun Tag und Nacht tragen muss. Es wurde auch nicht nur der große Zeh mit dem Ballen bearbeitet, sondern alle Zehen minimal invasiv angesägt und gerade gerichtet. Auch das Treppensteigen lernte ich. Dann kam noch ein weiterer Physiotherapeut für die Lymphdrainage. Meine Chirurgin kam auch auf eine kurze Visite und wechselte den Verband, es war noch alles blutig.

Das Mittagessen war sehr lecker, mit einem Stück Kuchen und einem Latte als Nachtisch, ich konnte mich nicht beschweren.

Am nächsten Tag der gleiche Ablauf mit Physio und Lymphdrainage sowie kurzer Visite. Und am dritten Tag wurde ich dann entlassen und von einem netten Taxifahrer abgeholt und bis zur Wohnung gebracht, ich muss dazu 25 Stufen steigen, dachte aber, das kann ich, habe es ja gelernt.

Erste Woche zuhause

Am nächsten Morgen war die Herausforderung, mein Frühstück zu bereiten. Auf Krücken ist das nicht so leicht. Habe zwar auch noch einen Mobi-Roll, aber zu dem Thema komme ich später. Von der sonst so einfachen Aufgabe, Kaffee und Ei kochen, alle Sachen aus dem Kühlschrank auf den Tisch, essen, dann alles wieder abräumen und verstauen, wurde eine Wahnsinnsanstrengung, die mich dann erstmal wieder zurück auf meine Couch geworfen hat, wo ich mich gut eine Stunde ausruhen musste, bevor ich es dann schaffte, ins Bad zu gehen und auch mein Bett notdürftig zu machen. Das Mittagessen war nicht so schlimm, ich habe gut vorgesorgt und brauche nicht viel zu kochen.

Den Nachmittag blieb ich weitgehend auf der Couch sitzen und legte meinen Fuß hoch. Später telefonierte ich mit einer älteren Bekannten, die mir prompt erzählte, was sie nach einem Beinbruch so alles auf Krücken geschafft hatte. Das wurmte mich, ich dachte, ich muss mich am Riemen reißen und stapfte auf meinen Krücken die 16 Stufen hinunter zum Briefkasten. Am nächsten Tag kam ein Bekannter und erzählte fröhlich, dass er gerade im Supermarkt war, wo ein einbeiniger Mann auf Krücken fröhlich herumgesprungen ist, um seinen Einkauf zu machen.

Ja, auch am nächsten Tag ging es wieder zum Briefkasten und Youtube zeigte mir eine Stuhlgymnastik.

1. Nachsorgetermin

Eine Woche nach OP war dann der erste Nachsorgetermin bei der Chirurgin. Meine Schwiegertochter holte mich ab, ich zeigte ihr stolz, wie ich meine 25 Stufen bis zur Straße so an Krücken schaffe, ihr erinnert euch an das rohe Ei, und ich dachte, ich habe es gut gemacht. Will ja schließlich auch so schnell wie möglich wieder gesund und mobil sein. Wir setzten uns auf die Stühle an der Rezeption, die Ärztin kam, um uns abzuholen und schimpfte unvermittelt los. Ich soll doch nicht auftreten! Um Gottes willen, so geht es nicht. Die junge, schlanke Frau zeigte mir leichtfüßig, wie ich so über dem Boden schweben sollte.

Dann kam der Verband ab und das Schimpfen ging weiter. Wie sieht das denn aus, der Fuß ist ja ganz geschwollen, da haben Sie sich nicht an die Vorgaben gehalten. Vorgaben? So richtig habe ich dazu nichts bekommen. Sie selbst war ja immer nur kurz bei mir. Die Krankenschwester, ja, die sagte mir, ich soll immer mal kühlen. Ich gebe es zu, das habe ich nicht gemacht. Der Grund dafür war, in 3 Tagen Krankenhaus hatte man nur einmal gekühlt und die Kälte drang durch den dicken Verband auch nicht durch. Da dachte ich, das ist nicht wichtig.

Sie schimpfte dermaßen mit mir und meinte, erst heute sei eine andere Patientin bei ihr gewesen, deren Fuß viel besser ausgesehen habe. Und überhaupt würden von 100 ihrer Patienten sich 98 brav an die Anweisungen halten und gut erholen, nur zwei tun das nicht und hätten unsinnige Argumente dafür, und ich gehöre zu den zweien.

Ich war völlig fertig, versuchte, meine Tränen zu verbergen. Man darf nicht vergessen, ich bin ja nicht fit und in meinem Alltag, sondern schon etwas verletzlich durch eine OP. Sie schimpfte ununterbrochen mit mir, Bett machen geht gar nicht in den nächsten vier Wochen, alles was ich sagte und tat, war falsch und irgendwann machte ich überhaupt nicht mehr den Mund auf. Hat ja doch keinen Zweck. Als wir aus der Praxis kamen, sagte meine Schwiegertochter spontan zu mir: Die hat ja überhaupt keine Empathie!

Ich las mir noch einmal meinen Entlassungsbericht durch und dort stand:

Weitere Mobilisation an Unterarmgehstützen mit 20 kg für zunächst 4 Wochen …

Seitdem grübele ich darüber nach, wieviel genau diese 20 kg an meinem Fuß sind. Und denke, dass ich doch eigentlich genau so in das Arztzimmer gehumpelt bin.

Private Krankenversicherung

Oft äußert man sich abfällig darüber, dass ich privat krankenversichert bin. Oft auch neiderfüllt, weil man da ja angeblich so viel besser von den Ärzten behandelt wird. Deshalb möchte ich euch heute mal schildern, wie es dazu kam.

Ich war Angestellte im Öffentlichen Dienst, auf der mittleren Ebene, und hatte eines Tages die Einkommensgrenze erreicht, ab der man sich privat krankenversichern kann. Ich war knapp 40 Jahre alt. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, an meiner gesetzlichen Versicherung irgendetwas zu ändern, aber eine Kollegin überredete mich. Und so ließen wir zusammen einen Vertreter kommen, der uns von den Vorteilen überzeugte, die vor allem darin bestanden, dass der Beitrag erheblich niedriger war, als der bisherige in der gesetzlichen Versicherung.

Für ein paar Jahre war ich zufrieden, meine Ärzte glücklich, und hin und wieder bekam ich tatsächlich eine Sonderbehandlung, indem ich schneller einen Termin bekam oder im Wartezimmer kürzer warten musste. Einmal war ich im Krankenhaus und bekam Chefarztbehandlung und trotz Zweibettzimmer-Tarif ein Einzelzimmer.

Doch dann kamen jedes Jahr erhebliche Erhöhungen und als ich endlich kapierte, dass ich einen Fehler begangen hatte, und mit der gesetzlichen Versicherung wesentlich besser gefahren wäre, war ich über 55 Jahre alt und konnte an meiner Versicherung nichts ändern. Und die Ironie des Schicksals bestand darin, dass meine Kollegin, die mich dazu überredet hatte, kurz nach dem Abschluss ihrer Versicherung an Depressionen erkrankte und aus der Privaten geworfen wurde, weil sie angeblich Vorerkrankungen verschwiegen hatte. Nur unter Schwierigkeiten kam sie in die Gesetzliche zurück und ist heute wesentlich besser dran als ich.

Ich zahle inzwischen knapp 1.000 Euro jeden Monat und bekomme von der Rentenversicherung nur 200 Euro Zuschuss. Die verbleibenden 800 Euro tun mir weh und es wird jedes Jahr teurer.

Nun hatte ich eine OP am Fuß und darf die ersten vier Wochen den Fuß nicht belasten. Meine Versicherung, die Hallesche, zahlt mir zwar das nette private Krankenhaus, aber sonst fast nichts. Musste noch nicht mal die Gehhilfen bezahlen, weil ich noch welche hatte. Alle sonstigen Hilfsmittel haben sie abgelehnt. Meine gesetzlich versicherte Nachbarin mit gebrochener Schulter bekam jeden Morgen eine Helferin fürs Waschen und einmal die Woche eine Putzhilfe, die durch die Wohnung sauste und alles blitzsauber hinterließ. Und eine Bekannte mit gleicher OP bekam Putzhilfe und Rollstuhl.

Ich: NICHTS! Danke Hallesche.

Familiengeschichte Schröder – Teil 3

Kriegstagebücher

Was mein Vater in dieser Zeit erlebte kann aus seinen Kriegstagebüchern entnommen werden, die mir vorliegen. Sie sind im ersten Teil in Sütterlin geschrieben und die Entzifferung war ziemlich schwer. Das erste geht vom 21.05.1940 bis zum 19.07.1941. Als Anschrift gibt er dort wie auch später Kirn, Bergerweg 37, an. Die Bücher gehen bis zum 14.02.1945 und sind alle als unbedenklich von der Wehrmacht abgestempelt. Auf der ersten Seite steht:

Dieses Tagebuch soll mir für spätere Zeiten als Erinnerung und Andenken dienen an meine Militär- und Kriegszeit. Sollte ich den Krieg nicht überleben, so soll es für meine Familie ein Andenken an mich sein.

1940 musste die Deutsche Reichspost Personal zu OKW/WNV/Fu III abstellen (OKW = Oberkommando der Wehrmacht), die Mitarbeiter kamen hauptsächlich zum Funkdienst/Abwehr. Nach der Einberufung am 21.5.1940 ging Erich Schröder zunächst nach Posen im heutigen Polen, wo er eine Ausbildung zum Funker machte. Er kam zur Abwehr und hatte zu Anfang die beste Zeit seines Lebens, als er in Bordeaux und dann in San Sebastian in Spanien beschäftigt war, einem Land, das nicht am Krieg beteiligt war. Dort lernte er Spanisch, konnte in seiner Freizeit tanzen gehen und kaufte Unmengen von Waren für die Familie ein, da es in Spanien sehr preiswert war. Später war er im Osten eingesetzt, in der Krim und der Ukraine. Durch seine Tätigkeit als Funker immer hinter der Front. In dieser Zeit entwickelte sich wohl seine Vorliebe fürs Reisen. Er langweilte sich schnell, wenn er längere Zeit fest auf einer sicheren Dienststelle war, er wollte immer fort. Die Reisen waren sehr abenteuerlich, oft mit der Bahn, was nicht einfach war, aber auch mit LKWs, die im Schlamm stecken blieben. Das schrieb er sorgsam auf, auch die Orte, durch die er fuhr. Aber im Tagebuch schrieb er hauptsächlich von der Freizeit, denn die dienstliche Arbeit war geheim. Er ging während seiner Kriegszeit mehr ins Kino, Theater und Café, als ich je in meinem Leben. Verglichen mit anderen Soldaten hatte er eine richtig gute Zeit, während meine Mutter zu Hause unter dem Bomben­hagel litt und andere Soldaten ihr Leben lassen mussten.

Einige Einträge im Buch sind denkwürdig:

4.6.1940 Bei dem Nachsprechen der Eidesformel befiel mich ein eigenartiges Gefühl. Jetzt bin ich Soldat mit Leib und Seele. Es gilt der Satz; wer auf die preußische Fahne schwört, hat nichts mehr, was ihm selber gehört. Wenn die Frage an mich herantritt, soll ich mein Leben einsetzen oder nicht werde ich mit allen Konsequenzen meine Pflicht tun.
7.7.1940 Seit dem Waffenstillstand mit Frankreich hat unsere Ausbildung sehr nachgelassen. Seitdem das Gerücht aufgetaucht ist, dass einzelne Jahrgänge entlassen werden sollen, ist nichts mehr los. Unser Fronteinsatz ist wahrscheinlich auch vorbei. Schade, gegen England wären wir alle gern dabei gewesen.
26.8.1942 Berti hatte 2 Rollen Drops geschickt. Damit hat sie mir große Freude gemacht. Diese Sachen entbehre ich hier sehr.
15.9.1942 Leider war unser Zimmer vollständig verwanzt und verlaust. Dadurch konnte ich die ganze Nacht kein Auge zutun. Bei Taschenlampenbeleuchtung ging ich auf die Jagd.
14.10.1942 Auf dieser Fahrt hatten wir reichlich Gelegenheit festzustellen, dass die Rede Göhrings von der Besserung auf Wahrheit beruhte. Von Rostow an war die Bahnstrecke zweigleisig ausgebaut. Fast alle Brücken waren schon durch eiserne Brücken ersetzt oder waren im Bau. Alle Bahnhöfe neu aufgebaut. Auf allen Bahnhöfen waren riesige Kohlenlager aufgestapelt für den Winter. Überall sieht man wieder rauchende Schornsteine von Fabriken. Teilweise wurden sogar neue Fabriken gebaut, die Felder sind zum großen Teil schon bestellt. Ja es ist Wahrheit. Die schlimme Zeit ist hinter uns. Jetzt noch den Kampf im Osten beenden, dann kann kommen, was will, es kann uns nichts mehr geschehen.
20.7.1944 Heute kam die aufsehenerregende Nachricht von dem Attentat auf den Führer. Glücklicherweise ist ihm nichts geschehen.
27.11.1944 Hoffentlich werden bald die neuen Abwehrwaffen eingesetzt, damit die Heimat mal zur Ruhe kommt.

Über das Ende des Krieges schreibt mein Vater: Werde während eines Urlaubs in Kirn von dem Vormarsch der Amerikaner überrascht. Schlage mich durch ganz Deutschland bis nach Kunzendorf zur Truppe zurück. Komme dort am 20.4.45 an. Am gleichen Tag mit Oblt. Bachmann und Hans Esche Abfahrt über Kommando in Planian und Prag nach Schwarzenberg im Erzgebirge, um neues Einsatzgerät abzuholen. Können dort nicht mehr vor- noch rückwärts, da hinter uns in der Tschechei Aufstand. Vor uns Amerikaner. Am Führergeburtstag hatte Ltn Spode aus eigenem Entschluss noch schnell die alten Leute zu Unteroffizieren befördert, auch mich. In Schwarzenberg erklärt Bachmann, dass es zu Ende sei, er könne nichts mehr machen und entlässt uns. Ich gehe nach Aue, melde mich am 5.5.45 bei Postamt zum Dienst und bleibe dort bis zur russischen Besetzung am 10.6.45. Dann zu Fuß zurück nach Wetzlar. Dort bleibe ich bei Bauern.

Erzählungen zufolge kam er unbeschadet zurück nach Boppard. Allerdings hatte er auch nicht die nötigen Entlassungspapiere, die er sich zunächst mit etwas Mühe bei den französischen Besetzern besorgen musste.

Total überwältigt war ich von der Erkenntnis wie ähnlich mein Vater und ich uns sind. Ich reise durch die nordafrikanischen Länder, früher sehr abenteuerlich, heute etwas komfortabler, und ich habe es schon immer geliebt, darüber zu schreiben. Zunächst ins Tagebuch nur für mich; Internetblogs, die alles öffentlich machen, gab es damals noch nicht. Dann als Länderberichte für den Saharaclub. Und dann sehr bald in der Form von Reiseführern. Und nun muss ich erkennen, dass mein Vater genau das gleiche gemacht hat. Er reiste und schrieb darüber. Wenn er mal längere Zeit in relativer Sicherheit in einem Büro in Berlin, Warschau, Wien oder Krakau Dienst tat, dann langweilte er sich und meldete sich auf einen Einsatzort in der Ferne. Die Reise war sein Abenteuer und wenn es noch so schwierig war. Wie sehr kann ich mich doch mit ihm identifizieren. Er nennt die Orte auf seiner Strecke mit Namen. Viele der besuchten Länder gehörten damals zum deutschen Reich und die Orte hatten deutsche Namen, die heute ganz anders lauten.

Eine der Fahrten zum Einsatzort

Das Kriegtagebuch ist erschienen in gedruckter Form und kann hier bestellt werden:

https://shop.edith-kohlbach.de/Kriegstagebuch

Familiengeschichte Schröder – Teil 2

Eltern Erich Schröder und Berta, geb. Franz

Meine Mutter Berta Franz machte von 1928 bis 1931 eine Lehre als Verkäuferin und arbeitete dann bis zu ihrer Hochzeit am 24. Juni 1937 in diesem Beruf. Ich habe noch ihr Arbeitsbuch.

Mein Vater Erich Schröder machte Abitur auf einem altsprachlichen Gymnasium mit Latein und Griechisch, vermutlich 1930, und suchte zunächst verzweifelt nach einer Arbeitsstelle. Durch Vermittlung eines Bekannten konnte er zwei Jahre später als Praktikant bei der Post anfangen. Unterlagen zeigen, dass er vor dem Krieg auf etlichen Postämtern im Hunsrück gearbeitet hat (z.B. Kastellaun und Andernach) und dann vermutlich auf dem Postamt in Boppard, wo er meine Mutter kennenlernte.

Kriegsjahre

Schon immer liebte mein Vater die Abwechslung, die ihm das Leben bisher aber noch nicht beschert hatte. Und so nahm er im Jahr 1938 das Angebot an, für ein Jahr die Arbeitsstelle mit einem Beamten aus dem Osten des Reiches zu tauschen, und das junge Paar zog noch im gleichen Jahr ins schlesische Gleiwitz, nicht ahnend, an welch geschichtsträchtigen Ort es sie verschlug, war Gleiwitz doch der Ausgangspunkt des 2. Weltkriegs. Am 31. August 1939 drangen SS-Leute als angebliche polnische Freischärler in den Sender Gleiwitz ein und riefen zu einem Aufstand der polnischen Minderheit auf. Diesen fingierten Angriff nahm Hitler als Auslöser für seinen Überfall auf Polen, offizieller Kriegsbeginn war der 1. September 1939.

Doch schon Anfang des Jahres gab es Vermutungen, dass ein Krieg bevorstand. Meine Mutter war schwanger und so legte mein Vater alles daran, wieder ins Rheinland zurück zu kommen. Der Tauschbeamte hatte sich inzwischen in ein Mädel aus dem Rheinland verliebt und wollte nicht zurück, aber irgendwie ist es ihm doch gelungen, und die Familie ging im Februar 1939 wieder zurück nach Boppard. Am 31. März 1939 wurde dann ihr erstes Kind, meine Schwester Sigrid, geboren. Vater wurde Ende 1939 nach Kirn (Nahe) versetzt. Die kleine Familie zog dorthin um und meine Mutter sollte die Kriegsjahre dort verleben. Meine Eltern hatten immer eine enge Bindung an Kirn, hatten Freunde dort und sind auch in späteren Jahren oft dorthin gefahren.

Vaters Papiere zeigen, dass er am 17.05.1940, mit 28 Jahren, eingezogen wurde. Von da an muss man für meine Eltern getrennte Wege berichten. Und wenn ich für mich zu wählen hätte, wurde ich ganz klar Vaters Militärzeit wählen, denn die war verhältnismäßig ruhig, während meine Mutter mit der kleinen Sigrid den Bombenhagel erleben musste.

Da ich zu dieser Zeit noch nicht geboren war habe ich nur Erinnerungsfetzen aus Erzählungen. Und alle Beteiligten leben heute nicht mehr, können nicht befragt werden. Im Gedächtnis blieb haften, dass meine Mutter sehr oft mit der kleinen Sigrid in den Schutzkeller flüchten musste. Der Bombenalarm ertönte, und sie mussten weg. Mehrmals täglich. In Hennweiler, einem Dorf 8 km von Kirn entfernt, lebte die Familie Fuchs, sehr gute Freunde von meinen Eltern. Zu diesen sind sie häufig gewandert, denn damals gab es dort keinen öffentlichen Nahverkehr. Familie Fuchs lebte auf einem Bauernhof und hatte daher immer etwas zu essen, woran sie meine Mutter und die Kleine teilhaben ließen. Auch später in meiner Kindheit haben wir die Familie noch oft besucht. Gut kann ich mich an den Donnerbalken erinnern. Das war der Klo draußen im Hof, ganz ohne Wasserspülung, ein Badezimmer mit WC und fließendem Wasser hatten sie lange nicht. Dorthin musste man bei jedem Wetter und um nicht in der Nacht raus ins Kalte zu müssen stand am Bett ein Nachttopf.

Selten kam Vater zu Besuch, später erzählte er nie vom Krieg, aber eine Heldentat blieb haften. Als er nämlich im Urlaub in Kirn mehr aus Versehen zusammen mit einem Freund ein Wildschwein erlegte. Eine schwere Straftat damals, aber ein unglaubliches Geschenk für die Familie. Das Fleisch wurde heimlich unter den Freunden aufgeteilt und eingemacht. Mit Eingemachtem haben auch andere Erinnerungen zu tun, die meine Mutter oft erzählte, dass nämlich gegen Kriegsende amerikanische Soldaten in die Stadt kamen, die Häuser durchsuchten und vor allem das Eingemachte aus den Kellern mitnahmen. Im Frühjahr 1945 erreichte der Vormarsch der Amerikaner Kirn. Außerdem stand die Einschulung Sigrids bevor, das Schuljahr begann damals noch an Ostern, und die Familie entschied, dass es besser sei, nach Boppard ins Elternhaus zurück zu gehen, damit Sigrid dort in die Schule käme.

Familiengeschichte Schröder – Teil 1

Ein Jubeln ging durch das Krankenhaus. Mitten in der „schlechten Zeit“, am 5. Dezember 1947 kurz nach dem Krieg, als es fast kein Geld und wenig zu essen gab, wurde endlich mal ein pralles Baby geboren. Natürlich kann ich, Edith Kohlbach geb. Schröder, mich nicht wirklich an das Geschrei erinnern, aber es war so etwas besonderes, dass es mir noch oft erzählt wurde. Genauso wie der Ärger meiner Schwester Sigrid, die 9 Jahre lang ihr Dasein als Einzelkind genoss, und genau am Nikolausabend auf ihre Mutter verzichten musste, denn ich wurde kurz vor Mitternacht geboren.

Großeltern väterlicherseits

Meinen Großvater, den Klavierbauer und Händler Johannes Schröder, habe ich nie kennengelernt, er wurde am 18. Oktober 1878 in Koblenz als Sohn des Kaufmanns Wilhelm Schröder geboren. Johannes hatte in Koblenz in der Schlossstraße das Musikaliengeschäft seines Vaters übernommen. Mein Vater Wilhelm Leonhard Hans Erich Schröder wurde am 25. November 1911 in Düren geboren. Die Heiratsurkunde zeigt, dass Erich eine Frühgeburt war, denn Johannes hat seine Margarete Steiger (geb. 4.11.1890) erst am 19. Mai 1911 geheiratet. Am 27. März 1915 wurde ein weiterer Sohn, Hans, geboren.

Johannes Schröder wurde im 1. Weltkrieg (28.7.1914 – 11.11.1918) als Soldat eingezogen. In dieser Zeit scheint sich das Ehepaar entfremdet zu haben. 1918 wurde Schwester Rita geboren, und der Vater war nicht Johannes. Das führte zur Scheidung im Jahr 1919. Die beiden Söhne kamen noch während des Krieges ins Waisenhaus. Johannes heiratete am 27. Mai 1921 erneut, und zwar Franziska Müller (geb. am 4. Mai 1886 in Koblenz-Pfaffendorf). Die beiden Jungen kamen irgendwann zurück zur Familie. Mein Vater hatte in seiner Jugendzeit oft Krach mit seinem Vater, verstand sich aber mit seiner Stiefmutter gut.

1942 wurde das Haus in der Schlossstraße 9, das Geschäft und Wohnung enthielt, völlig ausgebombt, so dass die Eltern das sehr zerstörte Koblenz verlassen mussten und zu Verwandten nach Wetzlar zogen. Meine eigenen Eltern besaßen noch viele Schall­platten aus ihrem Besitz. Der Großvater ist kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges am 14. Mai 1945 verstorben, die Familie sagte mir, er sei ermordet worden, weil man ihm sein Fahrrad stehlen wollte. So habe ich ihn nie kennengelernt. Seine zweite Frau Franziska starb am 1. Dezember 1952.

Die geschiedene Großmutter Margarete hat später Ritas Vater, einen Herrn Happ, geheiratet, der Kinder mit in die Ehe brachte. Eines davon war Hubert. Rita heiratete später diesen Stief-/Halbbruder Hubert, vermutlich um 1951. Alle wohnten in Büsdorf bei Köln. Meine Eltern pflegten einen guten Kontakt mit ihnen, wir fuhren oft hin und Familienfotos zeigen, dass Rita und Hubert uns auch besuchten.

Großeltern mütterlicherseits

Meine Großmutter Elisabetha Pauline Reinehr wurde am 9. Juni 1886 in Niederheimbach geboren, einem kleinen Ort am Rhein. Ihr Vater war dort der Schreinermeister und Möbeltischler Wilhelm Reinehr (geb. 1853) und ich habe noch Stücke aus seiner Hand gesehen. Reinehr war damals eine alteingesessene Familie im Ort, doch im Jahr 2019 steht kein einziger Reinehr mehr im Telefonbuch von Niederheimbach. Die kleine Gemeinde hatte damals wie heute keine 1.000 Einwohner.

Niederheimbach zieht sich entlang des Rheins, ist aber von der daran entlang führenden Eisenbahnlinie und der Straße vom Fluss getrennt. Es war ein eher armer Ort, der von seinen wenigen Weinbergen lebte; die Chronik berichtet, dass 1854 39 Bürger des Ortes wegen großer Not auswanderten nach Brasilien und Australien. Unter den Glücklichen, welche es geschafft hatten, ist auch ein Anton Reinehr. 1859 war dann der Eisenbahnbau in vollem Gange. Dies und die aufstrebende Schifffahrt mit ihrem Frachtverkehr auf dem Rhein brachten nun viele Einwohner Niederheimbachs in Arbeit und Brot. Viele Gärten, Äcker und Wiesen am Rhein fielen dem Eisenbahnbau zum Opfer. Für die Entschädigung konnten andere Grundstücke angekauft, oder, was mehrfach der Fall war, mit diesem Geld endlich Schulden bezahlt werden, welche die Menschen in den letzten sehr schlechten Jahren der Missernten zu machen gezwungen waren, um ihre Familien ernähren zu können. In einer Kopie eines Dokumentes vom 12. April 1859 sind die Namen der Niederheimbacher aufgeführt, die eine Entschädigung für ihr Grundstück erhielten. Hier findet sich auch ein Reinehr (Andreas).

1899 wurde dann auch mein Großvater in der Stadtchronik erwähnt. Am 21. August am Kirmes – Montag, 9 Uhr, brannten 12 Häuser im „Flecken“ nieder. Das Feuer brach im Stall von Anton Stark aus und innerhalb einer halben Stunde standen schon mehrere Häuser in Flammen. Es hatte in dieser Zeit wochenlang nicht geregnet, so dass der Heimbach kaum Wasser führte, was zum Löschen unbedingt benötigt worden wäre. Eine Wasserleitung gab es noch nicht. Wilhelm Reinehr gehörte eines der abgebrannten Häuser. Die Häuser waren damals schon alle bei der Provinzial versichert und erhielten Entschädigungen. Die damals wieder aufgebauten Häuser sind an ihren roten Backstein – Fassaden zu erkennen. Dieses Ereignis und andere schwere Brände führten 1932 zur Gründung einer freiwilligen Feuerwehr. Zum Brandmeister wurde Wilhelm Reinehr gewählt, vermutlich ein Bruder Paulines, denn der Vater wäre für diese Aufgabe schon zu alt gewesen.

 

Niederheimbach
Die neu aufgebauten Backsteinhäuser

Pauline heiratete am 2. August 1909 den Eisenbahnschaffner Josef Franz (geb. 5.3.1881), dessen Vater Winzer in Niederheimbach war. Auch die ersten Kinder wurden in Niederheimbach geboren. In den 1920ern zogen sie ins größere Boppard, Opa Josef war dann Lokführer der Hunsrück­bahn. In den 1930ern erwarben sie das Haus in der Sabelstraße 18, in dem ich aufgewachsen bin. Sie hatten fünf Mädchen, meine Mutter Berta Franz wurde am 29. Juli 1912 geboren. Die älteste war Paula, dann Berta, Käthe, Rosi und als Nesthäkchen Hannele.

Paula, Berta und Käthe noch in Niederheimbach

Die fünf Schwestern hatten ganz offensichtlich eine schöne Kindheit, wenn man rein von den Fotos her urteilt. Der 1. Weltkrieg (1914 – 1918) war gerade vorbei, die Weltwirtschaftskrise zum Ende der 1920er und im Verlauf der 1930er Jahre schien auf die Bahnbeamtenfamilie keine große Auswirkung zu haben. Oma Pauline starb am 15. Dezember 1978, Opa Josef lange vorher am 30. September 1957. 

Weihnachten um 1932 oder 1933

Die fünf Schwestern