Valencia

Aber …

Als ich aus Langeweile, um die Wartezeit zu verkürzen, mal in die NTV App schaue, sehe ich ein Bild, das ich für eine Fotomontage halte. Eine eher schmale Straße in einer Stadt, in der Autos über Autos zusammen geschoben stehen. Ich brauche eine ganze Weile, um zu erkennen, dass dies keine Montage ist, sondern die Wahrheit. In Valencia war nach heftigem Regen eine Flutwelle von den Bergen gerauscht und hatte alles in ein Chaos verwandelt. Und durch Valencia muss ich durch.

Schaute mal in Google Maps, was die so meinen, aber alle Straßen weiträumig um Valencia waren blockiert. Auf dem Schiff gab es TV, die spanischen Nachrichten berichteten ununterbrochen von der Katastrophe. Ich kann zwar kein Spanisch, aber die Bilder haben gereicht. Einfach schrecklich. Wir wissen alle, wie schlimm die Flutkatastrophe im Ahrtal war, aber hier scheint es noch ein wenig schlimmer gekommen zu sein. Wie geht es weiter? Google will mich über Madrid schicken, was etwa 300 km mehr bedeutet. Hätte ich das vor dem Ticketkauf gewusst, hätte ich mir vielleicht eine andere Fähre ausgesucht, vielleicht die nach Barcelona?

Aber da muss ich nun durch. Zum Glück geht die Abwicklung im Hafen von Almeria sehr schnell und heute früh sieht Google auch etwas positiver aus. Zwar ist die Autobahn, die Valencia durch die Berge weiträumig umfährt, wohl stark zerstört und vermutlich noch lange nicht zu befahren, aber durch die Stadt gibt es eine Möglichkeit. Doch auf der Autobahn stehen überall Hinweise, zunächst dass man Barcelona nur über Madrid erreicht, dann viele Bitten, die Gegend von Valencia zu vermeiden. Ich suche mir LKW-Fahrer und frage nach Information. Auf dem ersten Parkplatz nur ein Truck, der Fahrer weiß nichts. Aber ein französischer Geländewagenfahrer, der auch auf meiner Fähre war, meint, er will es riskieren. Der Umweg ist einfach zu groß. Ich halte nochmal an einem Parkplatz, auch hier weiß keiner etwas, aber beim dritten Versuch treffe ich auf einen jungen LKW-Fahrer, der mir die Google Maps Route zeigt (hatte ich auch schon gefunden, aber nicht getraut) und meint, diese Strecke ist befahrbar.

Valencia

Also los. Trotzdem stelle ich mir dauernd vor, wie es laufen wird. Vielleicht eine Polizeikontrolle am Beginn, die nur Einheimische durchlässt. Ich nehme mir vor, in diesem Fall zu sagen, dass ich helfen will und dies auch tun will, wenn es denn gewünscht wird. Aber tatsächlich kommt es nicht dazu. Schon 30 km vor Valencia werde ich von Google von der Autobahn gelotst und durchfahre ein Dorf, das ich schon aus den TV Nachrichten kenne. Überall stehen Menschen und schieben den Schlamm aus den Häusern. Genau wie man es von der Ahr kennt. Dazu stehen aber schlammverkrustete Autos davor, Türen und Motorhaube offen, um sie abtrocknen zu lassen und vielleicht noch retten zu können.

Dann führt die Route über schmale Straßen durch die Orangenhaine, für die Valencia berühmt ist. Da sieht es schlimm aus. Sie stehen im Matsch, auf den Bäumen goldene Orangen reif für die Ernte, aber höchstwahrscheinlich vom Matsch zerstört. Ich denke mal, dass hier mindestens die halbe Ernte verdorben ist und die Preise für Orangensaft noch weiter in die Höhe schießen.

Ich bin auch nicht die Einzige, die über diese kleinen Straßen fährt. Es gibt wohl noch mehr Leute, die Google Maps folgen, aber kein Stau und keine Probleme.

Aber dann komme ich zu einer Schnellstraße, die an einem Industriegebiet vor Valencia vorbeiführt. Sie hat sechs Spuren, von einer Betonleitplanke getrennt. Meine Seite mit den drei Spuren ist von allem möglichen Unrat frei geräumt, der am Straßenrand steht. Dadurch können nun wieder Autos hier fahren, in beide Richtungen. Die anderen drei Spuren aber, oh weh. So etwas habe ich noch nie gesehen. Die sind über und über mit Autos gefüllt, teils hängen sie über der Leitplanke, teils übereinander gestapelt. Auch zwei Amazon Prime Lieferwagen. Ob die Pakete da wohl noch drin sind? Im TV sagten sie, dass etwa 5000 Fahrzeuge verloren sind. Ich trauere über die Menschen, inzwischen sollen es ja weit über 200 Tote sein, also noch mehr als an der Ahr, einfach schrecklich. Aber das sehe ich ja nicht. Doch die Autos, die ich hier sehe, schockieren mich. Ich hatte schon auf der Herfahrt zwei Schrottplätze passiert, wo die noch nicht abgeladenen Transporter voller Schrottwagen standen. Jeder Tote ist natürlich so viel wichtiger als ein Auto, aber trotzdem, ich stelle mir auch das sehr schwer vor für die Menschen. Sie brauchen die Autos ja, um zur Arbeit zu fahren. Und so schnell bekommt man sicher kein Neues.

Apropos Autos. Mein Sohn arbeitet für Jaguar – Land Rover. Die haben sich angesichts der Katastrophe überlegt, was man tun soll. Und haben alle Land Rover Defender, die für verschiedene Zwecke in ihren Diensten stehen, nach Valencia geschickt, um bei der Bergung zu helfen. Finde ich toll.

Im weiteren Verlauf komme ich durch die Innenstadt von Valencia und sehe, dass dieser Teil überhaupt nicht betroffen ist, die Menschen gehen shoppen oder spazieren, als wäre nichts gewesen. Mein Resümee ist, es waren wohl vor allem die Dörfer der Bergregion betroffen, wie ja auch die dort vorbei führende Autobahn, und eben das Flachland vor der Küste, aber nicht die eigentliche Stadt Valencia. Es dauert nicht lange und ich bin wieder auf der Autobahn und kann meinen weiteren Weg in Angriff nehmen.