Archiv für den Monat: Mai 2017

Ein Mauretanier in Marrakech

Idoumou wollte den Djemaa el-Fna sehen. Was zunächst schon mal schön war, ich konnte mich entspannt zurücklehnen und die Preisverhandlung mit den Taxifahrern ihm überlassen. Hier am Hotel stieß er bei den wartenden Fahrern auf Granit: der Preis ist 50 Dirham und fertig. Als wir dann an der Koutoubia-Moschee vorbei kamen hatte ich plötzlich einen Gedankenblitz und ließ den Wagen stoppen. Wir stiegen aus, ich schickte Idoumou mit meiner Kamera in die Moschee und heraus kam er mit einer Masse von Fotos, so dass ich endlich mal sehen kann, wie sie innen aussieht. Eher überraschend einfach, ganz weiß.

Auf dem Djemaa war es dann sagenhaft. Wie ein kleiner Junge, oder noch eher wie ein Karawanenführer, der nach langer, harter Reise in die Stadt kommt, schaute sich Idoumou immer genau das an, das am meisten Zuschauer anzog. Und in seiner weiten, blauen Gandora stach er sofort aus der Menge heraus, alle Schausteller sprachen ihn sofort an, zogen ihn ins Gespräch und Fotos konnte er meist machen, ohne was zu bezahlen. Bei den blau gekleideten „Turaeg“, die geheimnisvolle Pülverchen anbieten, ließ er sich genau informieren und kaufte auch etwas. Und Arganöl wurde ihm zu einem sagenhaften Preis verkauft, die 250 ml-Flasche, für die jeder Tourist 200 DH zahlen muss, bekam er ohne Handeln für 50 DH, nicht ohne den Hinweis, dass die andere, die nur 35 DH kosten sollte, Olivenöl und Paraffin als Zusatz hat. Ich geh nur noch mit ihm einkaufen. Zum Abschluss gingen wir auf den Frauenmarkt, genau 5 m vom touristischen Pfad und trotzdem ohne Touristen, und aßen dort eine Harira, besser als in jedem Hotel, für nur 5 DH. Doch zahlte er mehr, denn die Frau an unserem Tisch, die gerade zahlen wollte und dafür mühsam ihre wenigen Dirham abzählte, lud er auch noch ein, und die nächste Frau, die kam, ebenfalls. So viel zum Geben ohne Gegenleistung.

Und für das Taxi zurück zahlte er ab Koutoubia trotz Nachtaufschlag 30 DH ohne zu handeln, aber mit netter Unterhaltung.

Die Eine geht, der Andere kommt

Kaum verwunderlich, dass der nächste Morgen sehr ruhig begann. Auch Lyndsey wachte früh auf und schaffte es, ein gutes Frühstück zu verputzen, was ihre Lebensgeister weckte, trotzdem schlief sie dann weiter bis zum Mittag. Ich versuchte es ebenfalls, sowohl im kühlen Bett als auch auf der sonnigen Privatterrasse meiner Suite, doch keine Chance, ich konnte trotz Müdigkeit nicht einschlafen. Lyndsey hätte eigentlich ihr Zimmer räumen müssen, da sie abends abreist, aber der nette Hotelmanager Imad hat volles Verständnis und lässt sie schlafen ohne Aufpreis. Am Nachmittag geht es dann für letzte Einkäufe in die Souks und am Abend kommt der Fahrer, um sie zum Flughafen zu bringen. Ich hätte ja noch eine Nacht gehabt, ober ohne Lyndsey, nein. Also bin ich mit dem gleichen Auto zum Hotel Tichka zurück, wo man gerade noch geschafft hat, ein Zimmer für mich zu blocken, ist doch mal wieder Wochenende und Marrakech gut besucht. Und dort wartete dann Idoumou auf mich, mein Freund und Kontaktmann aus Mauretanien. Richtig fit bin ich ja nicht und bräuchte Schlaf, doch gibt es hier natürlich auch wieder viel zu erzählen, über alte Freunde und neue Entwicklungen in Mauretanien. Die Franzosen haben die Reisewarnung für das Land zurückgesetzt, im Januar waren die Kosten für das Visum auf mein Drängen gesenkt worden und nun versucht das Land, im Tourismus wieder Fuß zu fassen.

Sieht er nicht einfach schön aus mit seiner weiten blauen Gandora? Auch den weitgehend traditionell gekleideten Menschen in der Medina fällt er sofort als Mauretanier auf.

 

Marrakech Nightlife

Oh mein Gott, was für eine wilde Zeit. Ich kann hier gar nicht alles schreiben was passiert ist und mich meines Nachtschlafs beraubt hat, aber schön und aufregend war es. Also ich versuche es dann mal in der Kurzfassung.

Wir zogen um ins Riad und ließen es zunächst ruhig angehen. Erster Bummel durch die Souks, erste Versuche im Handeln. Lyndsey musste das wie jeder erst lernen. Wir hatten einen Code ausgemacht, wenn ich sage, this is fantastic, soll sie es absolut nicht kaufen. Natürlich hat sie alles in ihr englisches Pfund und englische Preise umgerechnet und lag wie alle Touristen zu hoch. Aber bis zum nächsten Mittag hat sie es so gut gelernt, dass sie als hartgesottene Berberin eingeschätzt wurde, was ein Kompliment ist. Die 6 Paar Babuschen bekam sie dann statt für 1200 Dirham für 300. Es war ausgemacht, dass mein Freund Abdou schon an diesem Tag aus der Wüste zurückkehrt und uns zum Abendessen ausführt. Er war schon seit Wochen dort, in der Hochsaison muss er sich immer selbst ums Geschäft am Tor zur weiten Sahara kümmern und diese Osterzeit war so richtig gut, das beste Geschäft seit drei Jahren, die Touristen kommen endlich zurück.

Ich hatte Lyndsey gesagt, dass ich das mit Abdou extra arrangiert habe, weil wir uns nicht alleine ins Nachtleben stürzen können. Das war ein bisschen erstaunlich für sie, erlebte sie mich bisher doch als selbstständige, abenteuerlustige Frau, die allein die Wüste durchquert. Nun – sie hatte aber keinerlei Ahnung vom wilden Nachtleben in Marrakech. Um 20 Uhr hatte ich von Abdou noch nichts gehört und rief an. Er war noch immer bei Ouarzazate, da der Tichka-Pass einige Stunden gesperrt war, wegen der Bauarbeiten hatte man dort eine Explosion ausgeführt. Er kündigte an, nicht vor 22:30 in Marrakech zu sein. So lange wollten wir natürlich nicht im Riad sitzen, wir spazierten schon mal los nach Hivernage, um diese frühe Uhrzeit noch kein Problem. Im Stadtteil Hivernage sind einige sehr schöne Hotels und dort ist auch das Zentrum des Nachtlebens, ein Club, eine Lounge, eine Bar neben der anderen.

Wir wollten ganz brav ins Extrablatt (ein deutsches Franchise), aber Abdou sagte uns telefonisch, nein, geht zur Bar des Sofitel, sein inoffizielles Büro in Marrakech. Dort fragte ich nach dem Tisch, an dem er gewöhnlich sitzt, aber der Kellner verstand den Namen nicht richtig und fragte zurück: Ali el Kacimi? Ich sagte nein, Abdelkhalek. Okay, dann wurden wir an den Pool zu seinem Lieblingstisch geführt. Aber el Kacimi erinnerte mich natürlich an meinen Freund Kamal el Kacimi und ich rief einfach mal spontan bei ihm an. Kamal, wo bist du? Ich bin gerade auf dem Weg nach Marrakech! Er ließ alles stehen und liegen, schmiss seine Mitfahrer aus dem Auto und ließ sich von seinem Chauffeur ins Sofitel bringen. Es war eine echte Freude, den Filmemacher nach zwei Jahren mal wieder zu sehen.

Und irgendwann nach 23 Uhr war dann auch Abdou da. Wir boten ihm von unserem Wein an, er sagte nein, er trinkt nichts mehr. Und als Mitternacht nahte, sagte er nur Let’s go. Wir zogen in eine Discothek. So laute Musik, dass es wirklich kaum möglich war, dem anderen nur ein Wort ins Ohr zu brüllen, gedrängt voll und alle Tische besetzt. Erstaunlicherweise kann man nämlich auch in Discotheken essen, aber sie sind so beliebt, dass man vorher reservieren muss und wir hätten einige Zeit warten müssen So bis zwei Uhr morgens? Aber ich hatte mir sowieso gewünscht, mit unseren Freunden zu reden und ich schlug vor, doch zu einer Location zu gehen, wo das möglich ist. Die fanden wir in diesem Amüsierviertel gleich nebenan, ein wirklich romantisches Lokal, wo die Lautstärke der Musik noch erträglich war. So gegen 3 Uhr zogen wir weiter, nicht ins Riad, sondern in die SoLounge, dem Nachtclub des Sofitel, was überhaupt ein unglaubliches Hotel ist. Direkt vor dem Eingang parkte ein schneeweißer Ferrari mit Kennzeichen aus Dubai.

Wir fanden einen Platz im Garten, immer noch herrlich angenehme Temperatur, ich vertiefte mich mit Kamal in lange Gespräche, über die Leute, die wir so kennen, über alte Zeiten, und was es so alles so reden gibt. Abdou fand ganz offensichtlich Gefallen an der lustigen Lyndsey und dann kam noch ein Pärchen dazu, Driss mit sehr junger, sehr hübscher amerikanischer Freundin. Abdou machte ein Foto von mir und sagte, was ist nur mit Edith los, ich habe dich noch nie nachts um 3 Uhr gesehen. Aber das war halt der energetische Einfluss von Lyndsey, ich hatte eine Menge Spaß und dann ist man nicht müde. Aber auch der anregende Abend mit Kamal. Die Mädels in diesem Club – meistens Marokkanerinnen genauso wie die Männer – waren unglaublich jung, schön, schlank und wahnsinnig schick angezogen, aber die Schuhe! Nie im Leben habe ich so etwas gesehen. Dass sie die Security am Eingang passieren konnten mit diesen als Waffe zu gebrauchenden High Heels. Absätze 20 hoch, oft durchsichtig, unglaubliches Design, und all das kann man in dem mondänen Marrakech durchaus kaufen. Bevor sie aus der Disco gehen kommt dann eine Djellabah darüber und man ahnt nicht, was darunter steckt. Und was mich am meisten beeindruckt hat: Auf der kleinen Toilette, wo ich mit den Mädels dichtgedrängt warten musste, wurden mir freundliche Blicke zugeworfen, ein Lächeln kam rüber, zu mir, die ich gut die Großmutter hätte sein können. Ganz klar war ich die mit Abstand Älteste in dem ganzen Schuppen.

Wir saßen im Garten, innen ist eine Disco und irgendwann war Lyndsey einfach nicht mehr da. Den Abend über hatten natürlich etliche Flaschen Wein den Weg zu uns und auch zu dem angeblich nicht mehr trinkenden Abdou gefunden, Lyndsey war nicht mehr so ganz klar bei Sinnen und ich machte mir große Sorgen. Ich suchte auf der Toilette, blickte in die Disco, ich fand sie nicht. Die Amerikanerin sagte, Lyndsey hätte ihr mitgeteilt, sie wolle zum Riad zurück. Zum Riad? Allein? Sie weiß ja noch nicht einmal, wie der heißt, geschweige denn wo er ist. Und er ist auch mit keinem Taxi zu erreichen, da ist noch ein längerer Fußweg nötig. Nun bekam ich Panik. Inzwischen vier Uhr morgens und eine betrunkene Frau allein auf den Straßen von Marrakech. Doch Kamal beruhigte mich. Er sagte, Lyndsey wäre nicht Richtung Ausgang gegangen, das hätte er merken müssen und ein erneuter Suchtrupp fand sie dann schließlich doch in der Disco, mit einem Mojito in der Hand, den ein junger Mann ihr bereits ausgegeben hatte. Als ich Lyndsey mit mir zog protestierte er, hatte aber natürlich keine Chance. Er dachte, er hätte sein Opfer für die Nacht gefunden.

So gegen fünf Uhr ging es dann schließlich heim. Abdou fuhr mit Lyndsey im Taxi, Kamal wollte mich zum Riad bringen und rief – um 5:15 am Morgen, seinen armen Chauffeur an. Der brachte uns dann mit dem Riesen-Toyota zu dem kleinen Platz, wo normal die Gäste abgesetzt werden und dann zu Fuß gehen, sind doch die Wege in der Medina zu schmal. Doch der Fahrer bog ein in den Weg. Bis zum nächsten Tor. Das war zu eng und er versuchte zurückzusetzen und den Wagen zu drehen. Es ging, nachdem wir ein Moped weggeschoben hatten. Doch da griff Kamal ein. Er wollte mich unbedingt bis zum Riad bringen. Drehte erneut, fuhr durch, mit etwa 3 mm Raum an jeder Seite. Dann eine Baustelle, noch enger. Ich schloss die Augen und schrie. Aber Kamal schaffte es, trotz all dem Wein, es wirklich bis zum Riad zu schaffen, ganz ohne Kratzer. Um 6 Uhr war ich im Bett, um 6:30 riss er mich telefonisch wieder aus dem Schlaf, nur um zu fragen, ob ich gut im Zimmer angekommen sei. Goldig. Und um 8 Uhr war die Nacht wieder zu Ende, weil ich einfach nicht bis in den Morgen hinein schlafen kann.

Von den weiteren Abenteuern dieser aufregenden Zeit berichte ich dann im nächsten Blog.

Die Affen sind los

Am Donnerstag stand uns noch ein kompletter Tag im Tazarkount vor, bevor es endlich wieder auf die Piste gehen sollte. Lyndsey hatte absolut keine Lust mehr auf die Anwendungen, sie trat Massage, Maniküre und Pediküre an mich ab. Danach war es 11:30 und ich fragte sie, was sie denn machen wolle. Ins Dorf spazieren oder ab nach Marrakech. Lyndsey konnte sich für nichts entscheiden, saß völlig unentschlossen und unzufrieden nur da. Zunächst zögerte auch ich, denn das Programm für den Freitag hätte früh angegangen werden müssen, Besuch der Wasserfälle und weiter nach Marrakech, da wollte ich schon um 9 Uhr abfahren. Afourer lag vollkommen im Dunst, keine Sonne und eher kühl. Ich rief mal kurz an den Wasserfällen an, dort schien die Sonne. Das war es also. Ich entschied und sagte Lyndsey, Abmarsch, Koffer packen. Sie hatte kein Frühstück gehabt, wollte auch kein Mittagessen und noch vor 13 Uhr ging es los. Kurzer Stopp an dem schönen Stausee Bin el-Ouidane und Pinkelpause in Ilses Hotel, dann weiter zu den Kaskaden. Ich schaute mir noch einige Campingplätze an, traf Renate und Paul auf dem Camping Zebra und sogar die Nachbarin Jane war da und ersparte mir die Fahrt auf den Hügel. War wie immer schön dort und ich traf meinen ersten deutschen Marokkaner, der mit Wohnmobil und Familie in Marokko unterwegs war, natürlich mit meinem Campingführer.

Dann ging es in den Ort, wo Mustapha uns eine Führung rund um die Wasserfälle anbot. Braucht man natürlich nicht, aber Lyndsey wollte es gerne. Und sie blühte völlig auf, trotz leerem Magen. Das war also endlich Marokko, endlich das richtige Land zum Anfassen und sie war vollkommen seelig. Der Führer sprach Englisch, auch das ein Glücksfall für sie. Sie war so begeistert, dass sie sofort plante, nächsten Monat wiederzukommen und mit Mustapha auf Tour zu gehen. Ich bin da eher zurückhaltend, sage ihr immer wieder, ja, aber der Süden ist doch noch viel schöner!

Nur haben wir leider dafür keine Zeit mehr. Statt dessen kamen die Affen angerannt, so viele habe ich bisher noch nie getroffen. Aber Mustapha führte uns auch über einen langen Weg ganz um die Wasserfälle herum, die wir so von jeder Seite ablichten konnten. Endlich mal Bewegung nach dem Herumsitzen im Tazarkount, Lyndsey war in ihrem Element. Danach mussten wir natürlich einen Tee trinken, vorher lässt man uns nicht weg und ich schaue immer auf die Uhr. Es war schon spät und irgendwo müssen wir ja schlafen. Ouzoud ist irgendwie schon eigen, ganz anders als die Städte im Süden und so richtig konnten weder ich noch Lyndsey Fuß fassen. Ein Hotel stand uns offen, Lyndsey fragte, gibt es Wlan, okay, ja es gab, aber sehr, sehr schwach. Und sie muss doch die vielen Fotos an die Familie senden, auch ihr 10jähriger Sohn wartet darauf. Aber was ihr vor allem fehlte waren Menschen. Im Tazarkount war ja schon kaum was los, aber diese Hotels waren vollkommen leer. Und auf ein Abendessen hätten wir 1,5 Stunden warten müssen. Sie hätte sogar im Zelt schlafen können, aber Menschen, Wlan und was zu essen waren absolut notwendig.

Es ist ein Geschenk mit Lyndsey zu reisen. Sie ist nicht nur nett, sondern wir denken in vielen Dingen genauso, die Entscheidungen, die ich aus Erfahrung treffe, sind immer genau die, die auch für sie richtig sind. Dass sie aber auch ungemein lustig ist, das kam erst spät am Abend raus, dazu hatte sie vorher im Tazarkount einfach keine Gelegenheit.

Kurzentschlossen hatte ich meinen Freund, des Direktor meiner Stammheimat Hotel Tichka angerufen. Hast du Zimmer für uns, bekommen wir noch was zu essen, wenn wir spät ankommen? Immer ja natürlich, die Prinzessin des Tichka ist immer willkommen. Wir fuhren wie der Wind, aber immer innerhalb des Speedlimits und kamen auf der Nebenstraße auch gut durch. Es schlug gerade 21 Uhr, als wir vor dem Tichka eintrafen. Das Gepäck blieb im Zimmer, ich suchte meinen Direktor und fand ihn auf seinem Sommerplatz, der Terrasse. Lyndsey war glückseelig. Wifi, Menschen, romantische Atmosphäre und Rosewein, den gab es in Ouzoud auch nicht. Alles was sie für einen schönen Abend braucht. Und der wurde mehr als schön. Der Direktor kann kaum Englisch, aber er saß mit einem Freund zusammen, und der hatte sofort einen Narren an Lyndsey gefressen. Die beiden radebrechten in allen möglichen Sprachen, eine Flasche Wein nach der anderen erschien und verschwand, und die bulgarische Sängerin direkt vor uns sang nur für uns. Lyndsey war einfach glücklich, das ist ihr Leben und es ist direkt schade, dass wir für Freitag ein Riad gebucht haben und das schöne Tichka mit seinem Rose schon wieder verlassen müssen.

Lyndsey’s Abenteuer

Zur Zeit wird nicht gearbeitet, sondern ich erhole mich. Nach so langer Recherche muss das auch mal sein. Hier im Hotel Tazarkount ist es immer schön. Es sind immer einige Frauen hier, die eine Wellness-Woche gebucht haben. Sie sind im Hotel vollkommen abgeschirmt von der Außenwelt, kennen Marokko noch nicht und sind immer ganz begeistert, wenn so eine „Exotin“ wie ich zu ihnen stößt. Habe da über die Jahre schon einiges erlebt. Diesmal sind nur zwei Frauen da, Gaby aus Deutschland und Lyndsey aus Wales. Vor allem mit Lyndsey verstehe ich mich sehr gut und gestern habe ich es geschafft, sie endlich mal aus dem Hotel zu bekommen. Richtig ist ja schon, dass die Frauen hier sind, weil sie in ihrem Alltagsleben viel Stress haben und einfach mal nichts tun, sich massieren und behandeln lassen wollen. Aber Lyndsey ist ganz begierig auf die Außenwelt. Wir fahren zuerst zum Marjane, kaufen aber nur eine Tafel Schokolade ein. Dann geht es weiter zu der Quelle Ain Asserdoun und hinauf bis zum Borj, wo man eine fantastische Aussicht auf die Stadt hat. Diese Punkte sind auch für die Einheimischen sehr beliebt, vor allem am Abend schlagen die Souvenirhändler ihr Lager auf, Pferde und Kamele stehen für Fotos bereit und das alles nicht für Ausländer, nach Beni Mellal kommen hauptsächlich Einheimische. Ein paar junge Männer sitzen hart am Abgrund, um ein Selfie zu machen, Lyndsey bekommt bald einen Herzanfall als sie das sieht. Die Jungs rufen, sie soll doch dazu kommen fürs Foto, doch Lyndsey läuft schreiend davon, hat Angst, dass jemand hinunterstürzt und will sich das nicht anschauen. Die Jungs wiederum sind begeistert, dass sich jemand um sie sorgt und da Lyndsey absolut nicht über die Mauer steigt kommen sie auch wieder auf den sicheren Erdboden und besteigen das Fotopferd. Es folgt eine Fotosession mit Jungs und uns und alle haben furchtbar viel Spaß. Sie fragen uns sogar, ob wir einverstanden sind, wenn sie dies in facebook posten. Klar, dürfen sie, mache ich ja auch.

Und Lyndsey ist hin und weg. So ein Abenteuer, endlich mal was erlebt. Na, abwarten. Am Freitag fahren wir zusammen nach Marrakech, dann wird sie wirklich Abenteuer haben.

Ecole vivante

Ich war hauptsächlich in Agouti, um die Einweihung der neuen Schule zu erleben. Die Deutsche Stephanie, die vor Jahren Haddou aus dem glücklichen Tal geheiratet hat, hatte, als ihr erster Sohn schulpflichtig wurde, damit begonnen, in diesem kleinen Dorf eine Privatschule aufzubauen und gleichzeitig sehr moderne Schulmethoden einzuführen, ein wenig wie Walddorfschulen, aber dem Leben in dieser einsamen Berggegend angepasst. Sie gründete unterstützt von einem schweizer Verein die Ecole Vivante, die den Kindern eine sehr gute Grundschul-Ausbildung für die ersten sechs Jahre ermöglicht. Um dieses Konzept fortzuführen wurde nun, nachdem die ersten Schüler die sechs Jahre erfolgreich abgeschlossen haben, ein College angebaut, also eine Oberschule. Auch hier beeindruckt das Konzept, das eine sehr offene Lehrweise ermöglicht, jedes Kind hat seinen eigenen Tisch, den es selbst gestalten und nach Belieben aufstellen kann. Die Ausbildung nimmt schon Bezug auf einen späteren Beruf, es gibt z.B. Schreinerwerkstätten und Nähzimmer. Aber auch ein Physiklabor ist vorhanden und die Landwirtschaft wird praktisch betrieben. Die ersten Schüler, die die 6. Klasse abgeschlossen hatten, mussten eine staatliche Prüfung ablegen und das Ergebnis lag über dem Durchschnitt der öffentlichen Schulen.

Die Eröffnung war sehr groß mit vielen freiwilligen Helfern angelegt, sogar die schweizer Botschaft war vertreten sowie der marokkanische Kultusminister. In Führungen konnten die Besucher die Räumlichkeiten erleben und es wurde auch der Unterricht gezeigt, für die drei hörgeschädigten Schüler gibt es sogar eine Lehrerin, die ebenfalls hörgeschädigt ist. Dazwischen aber immer wieder nette Sitzgelegenheiten für die Besucher mit Tee und Leckereien. Die örtlichen, zu einer Kooperative zusammen geschlossenen Frauen verkauften ihre Produkte. Und natürlich waren auch Sammelbüchsen für Spenden aufgestellt. Dieses Projekt verdient wirklich jede Unterstützung.

In meiner Unterkunft, der Auberge Flilou, war an dem Abend eine marokkanische Wandergruppe angesagt, so dass ich aus meinem Zimmer mit Bad in einem kleinen Schlafsaal zur Alleinbenutzung, aber ohne Bad, wechseln musste. Dazu wurde das Wetter auch ziemlich schlecht, es war kalt und regnerisch. Ich bin einfach kein Bergmensch, ich liebe die Hitze und gerne auch die staubtrockene Wüsten-Luft und so war es trotz der netten Gastfreundschaft im Flilou doch schön für mich, dass ich am nächsten Morgen weiter fahren konnte. Begleitet vom Österreicher, der in Azilal das Taxi weiter nach Ouzoud nehmen wollte, während ich in die zum Vergleich luxuriöse Umgebung des Chems Tazarkount in Afourer weiterfuhr. Die Hotelbsitzerin Ilse habe ich schon vor 27 Jahren kennengelernt, als das Hotel noch Baustelle war, und dort erhole ich mich immer gerne mal nach meiner anstrengenden Reise.